Hamburg. Nicht nur Papa Wolfgang hofft, dass Waldschmidt als erfolgreichster HSV-Stürmer eine Chance bekommt

Wolfgang Waldschmidt will nichts dem Zufall überlassen. Der Hamburg-Besuch am Wochenende mit der ganzen Familie zu Ehren von Oma Ursulas 70. Geburtstag ist von A bis Z geplant. Natürlich steht ein wenig Sightseeing auf dem Programm, eine Hafenrundfahrt und ein Besuch des Musicals „Das Wunder von Bern“ mit der ganzen Familie. „Wir haben zehn Karten organisiert. Es soll auf jeden Fall ein richtig schönes Wochenende werden, unabhängig davon, was da am Freitagabend passieren wird“, sagt Wolfgang Waldschmidt.

Der Freitagabend könnte der vorzeitige Höhepunkt des Waldschmidt-Wochenendes werden. Im besten Fall. Oder der Tiefpunkt. Im schlechtesten Fall. „Natürlich werden wir mit allen im Stadion sein, wenn Luca mit dem HSV gegen die Eintracht spielt“, sagt Papa Wolfgang, der gleich drei Wünsche hat: einen HSV-Sieg, einen Einsatz von Sohn Luca gegen dessen Ex-Club und im Bestfall ein Geburtstagstor für Oma Ursula.

„Selbstverständlich freue ich mich auf das Wochenende“, sagt Luca Waldschmidt. Frisch geduscht steht der 20 Jahre alte Fußballer neben dem Wolfgang-Meyer-Sportplatz in Stellingen. 1:1 hat die zweite Mannschaft des HSV gerade gegen den SV Drochtersen/Assel gespielt. Der Elfte gegen den Zwölften der Regionalliga Nord. Viel mehr Fußballprovinz geht nicht. „Für Luca war die Umstellung nicht ganz einfach. Am einen Tag ist er noch in Gladbach vor 50.000, und am nächsten Tag spielt er vor 500 Zuschauern gegen Drochtersen“, sagt Dirk „Kuhni“ Kuhnert, der Cheftrainer des HSV-Nachwuchses. „Aber ich war sehr zufrieden mit ihm. Sein Tor hat er super gemacht.“

Sein Tor. Es ist das, was von diesem nasskalten Oktobertag übrig bleibt. „Für mich war es natürlich wichtig, dass ich wieder ein Tor machen konnte“, sagt Waldschmidt, der den Treffer gerade noch rechtzeitig erzielt hat, bevor Profitrainer Markus Gisdol zur Halbzeit das Weite suchte. „Das war ein guter Akzent“, sagt der Angreifer leise, um ungewohnt forsch hinterherzuschieben: „Wird Zeit, dass ich die Akzente auch mal oben setze.“

Mit „oben“ sind die Profis des HSV gemeint, zu denen Waldschmidt im Sommer von Eintracht Frankfurt gewechselt ist. 1,3 Millionen Euro war dem HSV das Frankfurter Sturmjuwel wert. Waldschmidt war der erste Transfer, den Milliardär Klaus-Michael Kühne realisierte, ehe er später das Portemonnaie ganz weit öffnete. „Wir freuen uns, dass wir mit Luca einen jungen und vielversprechenden Spieler an den HSV binden konnten“, hatte HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer seinerzeit frohlockt: „Wir sind überzeugt, dass Luca bei uns den nächsten Schritt in seiner Entwicklung machen wird.“

Davon war vor ein paar Monaten auch Papa Waldschmidt, der einst zusammen mit Ex-Trainer Bruno Labbadia in der Zweiten Liga beim SV Darmstadt 98 gespielt hat, noch überzeugt. „Lucas Ziel war es, endlich mehr Spielpraxis zu bekommen. Er wollte sich in Hamburg weiterentwickeln“, sagt Waldschmidt, der bewusst in der Vergangenheit spricht. Denn mit der Gegenwart, in der sein Sohnemann auf 69 Bundesligaminuten (gegen Leipzig und Freiburg) kommt, sind weder Waldschmidt senior noch Waldschmidt junior zufrieden. „Luca kann nur treffen, wenn er auch mal spielt“, sagt Wolfgang Waldschmidt, der daran erinnert, dass Luca in fast jedem Testspiel getroffen und kräftig Eigenwerbung betrieben habe.

Waldschmidts Aussage ist nur teilweise richtig. Denn tatsächlich hat sein Filius nicht in fast jedem Test getroffen, sondern in jedem. In vier Freundschaftsspielen gegen Altona 93, Strand 08, Dynamo Berlin und den 1. FC Magdeburg hat Waldschmidt junior fünf Treffer und damit so viele Tore wie kein anderer HSV-Profi erzielt. Bleibt die Frage, warum ausgerechnet der Club mit den wenigsten Toren der Bundesliga auf seinen Spieler mit den meisten Toren freiwillig verzichtet?

„Als neuer Trainer setzt man ja gerne mal zunächst auf die erfahrenen Spieler“, sagt Wolfgang Waldschmidt, der trotzdem auf eine baldige Chance für seinen Sohn hofft. „In den Tests trifft Luca ja eigentlich immer. Was soll er denn noch machen?“, fragt der frühere Zweitligaprofi, der aber keinesfalls die Rolle des schimpfenden Fußballvaters einnehmen will. „Luca muss sich in jedem Training neu anbieten. Wir müssen geduldig bleiben – das sage ich auch dem Luca.“

In Frankfurt, beim kommenden Gegner, hatten die Waldschmidts die Geduld im Sommer verloren. Sechs Jahre lang hatte Luca sämtliche Jugendmannschaften der Eintracht durchlaufen, doch bei den Profis brachte es der hochveranlagte Offensiv-Allrounder trotzdem nur auf drei Kurzeinsätze. „Wir hätten gern mit Luca verlängert, aber ich lass’ mir auch nicht die Pistole auf die Brust setzen“, sagt Eintrachts neuer Sportvorstand Fredi Bobic im Gespräch mit dem Abendblatt. „Luca wollte unbedingt zum HSV, also haben wir ihn verkauft. Ich wünsche ihm, und das meine ich ganz ehrlich, dass er für seine Karriere die richtige Entscheidung getroffen hat.“

Drei Monate später hofft das noch immer auch Luca Waldschmidt, der keine Chance ungenutzt lässt, auf sich aufmerksam zu machen. Am freien Montag absolvierte der Wahl-Eppendorfer eine freiwillige Krafteinheit – und auch sein Einsatz in der zweiten Mannschaft gegen Drochtersen am Vortag war für Waldschmidt selbstverständlich. „Ein Pflichtspiel über 90 Minuten ist das beste Training, das es gibt“, sagt der frühere Frankfurter, der noch immer guten Kontakt mit den Eintracht-Profis Haris Seferovic, Yanni Regäsel und Joel Gerezgiher pflegt. Den besten Kontakt in die Heimat hat Luca allerdings zu jemand anders: zu Oma Ursula, deren Rouladen Luca sogar als „Teilzeit-Veganer“ nicht widerstehen kann. „Ein Tor“, sagt Chefplaner Wolfgang, „wäre das perfekte Geschenk zum Geburtstagswochenende.“