Hamburg. Nach dem 0:2 in Berlin und dem damit schlechtesten Saisonstart aller Zeiten rutscht derHSVauf den letzten Platz ab. Neu-Trainer Gisdol bleibt trotzdem optimistisch

Große Überraschungen hatte das verlängerte Wochenende im Volkspark nicht zu bieten. Am Feiertagsmontag blieben die Trainingsplätze verwaist. Und am Sonntagmorgen liefen sich die Stammspieler des HSV nur die müden Beine aus, die in Berlin nicht zum Einsatz gekommenen Ersatzspieler übten Torschüsse. Dann musste Trainer Bruno Labbadia vor die Kameras und die Niederlage vom Vortag erklären. Gut gespielt hätten sie, das Quäntchen Glück habe gefehlt, aber man werde den Bock schon umstoßen. Labbadia sagte Sätze, die man so sagt, wenn die eigene Mannschaft gerade den schlechtesten Saisonstart der Clubgeschichte perfekt gemacht hat. „Ich denke von Tag zu Tag“, sagte Labbadia. „In Lösungen denken, arbeiten. Wir packen das. Da bin ich mir sicher, ganz sicher.“

Bruno Labbadia gab die Antworten, die er in den vergangenen Wochen so häufig gegeben hatte. Mit nur einem Unterschied: Labbadia war nicht Labbadia, sondern Markus Gisdol. Der neue HSV-Trainer, der Labbadia eine knappe Woche zuvor beerbt hatte, stand in den Katakomben des Volksparkstadions, kerzengerade, den Rücken durchgedrückt, und machte gute Miene zum verlorenen Spiel: „Das war ein Neuanfang für uns“, sagte er am Tag nach dem 0:2 gegen Hertha BSC. „Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis wir uns belohnen.“ Gisdols Botschaft schien klar: Es kann nur aufwärtsgehen!

Faktisch hatte Gisdol natürlich recht. Durch die Niederlage in Berlin war der HSV auf den letzten Tabellenplatz abgerutscht, was zumindest eine positive Konsequenz mit sich brachte: Schlimmer geht’s nimmer. Doch nach Gisdols ersten 90 Minuten als HSV-Trainer (siehe rechts) wäre es ungerecht, wenn der 18. Rang die einzige Erkenntnis nach dem Betriebsausflug nach Berlin gewesen wäre. „Die Tabelle ist im Moment scheißegal“, drückte es Lewis Holtby derbe aus und verwies auf die vergangene Saison: „Gladbach hatte die ersten fünf Spiele verloren und am Ende trotzdem die Champions League erreicht. Das soll nicht heißen, dass wir das kopieren wollen. Wir müssen uns einfach diesen Spirit wieder erarbeiten.“

Nun ist der HSV von der Champions League in etwa so weit entfernt wie Uwe Seeler von einer Rückkehr in die Nationalmannschaft. Doch gute Ansätze wurden nach der Partie gegen Hertha nicht nur herbeigeredet, sondern waren auch auf dem Platz erkennbar. 16-mal hatte Gisdols Mannschaft in Berlin auf das gegnerische Tor geschossen und sich dabei so viele Torchancen herausgespielt wie fast in der bisherigen Saison zusammengerechnet. „Wir haben immer versucht, nach vorne zu kommen und die Lücke zu suchen“, sagte Pierre-Michel Lasogga, der gemeinsam mit Bobby Wood im modifizierten 4-4-2-System auf Torejagd gegangen war. „Wir haben es trotz des Rückstands geschafft, über 90 Minuten gefährlich zu bleiben.“ Doch weil unter dem Strich beim HSV erneut eine Null zu verzeichnen war, fasste Albin Ekdal folgerichtig zusammen: „Um zu gewinnen, musst du Tore schießen, das haben wir nicht gemacht. Das ist auch nach dem Trainerwechsel das Entscheidende.“

Ekdals Erkenntnis war richtig, der Absender war allerdings der Falsche. Denn ausgerechnet der Schwede war es, der einen rabenschwarzen Tag erwischte, den Strafstoß vor dem 0:2 verursachte und im defensiven Mittelfeld maßgeblich mit dafür verantwortlich war, dass Hamburgs wiedererstarkte Offensive einherging mit einer extrem anfälligen Defensive. So standen bei Hertha neben den beiden Ibisevic-Toren noch fünf Großchancen am Ende unter dem Strich. Auch deswegen erkannte Torhüter René Adler nach der Partie „ein absolut gerechtes Ergebnis“ an.

Die Herkulesaufgabe, die Gisdol nun in der Länderspielwoche bis zum nächsten Auswärtsspiel in Gladbach zu bewerkstelligen hat, lautet: an den positiven Ansätzen einerseits zügig weiterarbeiten, anderseits aber endlich auch zählbare Ergebnisse liefern. „Hier geht es nicht nur darum, eine Mannschaft zu entwickeln“, stellte Adler fest. „Die Bundesliga ist ein Tagesgeschäft. Da geht es darum, einfach Punkte zu sammeln und Ergebnisse abzuliefern.“

Neu-Trainer Gisdol wollte folglich keine Zeit verschwenden. Noch auf der Rückfahrt von Berlin nach Hamburg schaute sich der Schwabe die 90 Minuten ein weiteres Mal komplett an, schrieb sich die für ihn entscheidenenden Szenen heraus und besprach diese mit den Spielern am Morgen danach. „Wir hatten gute Balleroberungen, gute Umschaltbewegungen. Und auch sonst hat die Mannschaft einen stabilen Eindruck gemacht“, sagte Gisdol, der allerdings unumwunden zugab: „Abschlüsse bleiben ein großes Thema bei uns. Aber das geht nicht von heute auf morgen.“

Mit nur zwei Toren in sechs Spielen – kein Team hat seltener getroffen – ist die größte Baustelle der Mannschaft trotz Ausgaben von rund 32 Millionen Euro im Sommer offensichtlich. Doch auch hier gilt: Es kann nur besser werden.

„Natürlich werden wir nicht von heute auf morgen eine Angriffsmannschaft, die jeden Ball im Tor unterbringt“, sagte Gisdol, der sich aber selbst als „optimistischen Menschen“ charakterisierte. „Ich bin da vollkommen entspannt, was die Sachen angeht.“

Diesen Dienstag geht das Spielchen also wieder von vorne los: zwei Einheiten, eine am Mittwoch, ein Test in Magdeburg am Donnerstag und das übliche Auslaufen am Freitag. „Uns bleibt nichts übrig, als hart zu arbeiten“, sagte Labbadia, Pardon: Gisdol, zum Schluss.

Kameralicht aus, ein bisschen Small Talk, dann wollte Gisdol los. Noch einmal kurz umgedreht, noch ein Satz: „Wir werden das schon hinbekommen.“