Hannover/Hamburg. Nach dem 0:2 in Hannover stürzt der FC St. Pauli auf Rang 18. So schlecht ist der Kiezclub noch nie gestartet

Wenn es eines Bildes bedurft hätte, das die aktuelle Situation des FC St. Pauli perfekt darstellt, so lieferte es Ewald Lienen nach dem 0:2 (0:0) bei Hannover 96. Glasige Augen, die sonst so kräftige Stimme leise, wie ein Häufchen Elend kauerte der Trainer des Kiezclubs auf dem Podest im Presseraum der HDI-Arena. Der 62-Jährige laboriert an einem Magen-Darm-Infekt, der ihn dazu veranlasste, nicht schon Freitag mit der Mannschaft in die niedersächsische Landeshauptstadt zu fahren.

Erst am Sonnabend reiste Lienen um sieben Uhr morgens mit dem Zug an. „Details dieser Fahrt erspare ich euch lieber. Während des Spiels ging es mir besser“, sagte Lienen, dessen Mannschaft aber nach der fünften Niederlage der Saison auf der Intensivstation liegt. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Es gibt keinen Ersatz für Siege. Das wissen wir! Es muss jeder begreifen, dass es nur darum gehen kann, unten wegzukommen“, sagte Lienen.

Die Bilanz nach acht Spielen ist verheerend. Ein Sieg gegen Bielefeld (2:1), fünf magere Punkte, mit gerade einmal sechs geschossenen Toren die drittschlechteste Offensive der Liga, Tabellenplatz 18. So schlecht ist St. Pauli noch nie in seiner 106-jährigen Vereinsgeschichte in die Zweite Liga gestartet. Eine Trainerdiskussion erstickte Sportdirektor Thomas Meggle nach dem Nordderby im Keim und stellte sich demonstrativ vor Lienen. „Die Situation ist sehr kritisch, aber wenn ich sehe, wie die Mannschaft Woche für Woche auftritt, dann ist es kein Thema, das man beim Trainer ansiedeln muss. Wir haben eine totale Ruhe im Verein“, sagte Meggle, der auch nach dem Hannover-Spiel erneut versuchte, die Coolness in Person darzustellen. Wie angespannt der 41-Jährige wirklich ist, offenbarte er bei einer vermeintlich harmlosen Frage, ob die nächsten beiden Spiele nach der Länderspielpause gegen Erzgebirge Aue und den SV Sandhausen gewonnen werden müssen. „Wir müssen gar nichts.“

Eine interessante Aussage angesichts der aktuellen Situation. Meggle ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass es mit der Ruhe im Club schnell vorbei ist, wenn die beiden Spiele gegen direkte Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt verloren gehen. Es ist ein Stück weit verständlich, dass der Sportchef versucht, Ruhe auszustrahlen und sein Team starkzureden. Er verweist auf den guten Einsatz der Mannschaft, die Tatsache, dass man gegen Hannover gute Torchancen hatte (zumeist waren es jedoch Distanzschüsse) und die Schwere des Auftaktprogramms mit Duellen gegen Stuttgart, Braunschweig, Union Berlin und Hannover. „Wir hatten schwere Auswärtsspiele, aber das kann keine Ausrede sein. Wenn man die Tabelle sieht, sind wir im Abstiegskampf. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen“, sagte Abwehrspieler Philipp Ziereis.

Das Engagement stimmte bei St. Pauli auch in Hannover

Ohnehin war es erfrischend, wie ehrlich und realistisch die Spieler die Krisensituation einordnen. Auch gegen den Bundesliga-Absteiger präsentierte sich St. Pauli keinesfalls leblos. Der Einsatz gegen den Aufstiegskandidaten stimmte, aber wieder sorgte ein individueller Fehler für die Entscheidung. Beim 0:1 durch Kenan Karaman verlor Stürmer Aziz Bouhaddouz das Kopfballduell gegen Vorlagengeber Stefan Strandberg, weil er falsch zum Mann stand. Dabei warnte Trainer Lienen genau vor dieser Variante bei Freistößen von außen. Da ist es ein schwacher Trost, dass der Auftritt insgesamt ordentlich war. „Ich bin es leid, dass jede Woche zu sagen, dass wir einen couragierten Auftritt hingelegt haben. Im Endeffekt stehen wir wieder mit null Punkten da“, sagte Mittelfeldspieler Bernd Nehrig, dessen Teamkollege Ziereis ihm beipflichtete: „Es reicht irgendwann nicht mehr, zu sagen, dass man gut gespielt hat. Irgendwann brauchen wir auch Punkte.“

Am Donnerstag (18.30 Uhr) will sich das Lienen-Team im Testspiel gegen Werder Bremen ein Erfolgserlebnis holen. Im Moment klammert man sich an alles, was helfen kann, aus der prekären Situation herauszukommen. „Es wird nichts vom Himmel fallen und dann läuft es wieder. Das ist harte Arbeit“, so Torhüter Robin Himmelmann. Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung.