Hamburg. Der Vorstandsvorsitzende ist nach der Labbadia-Beurlaubung stark in die Kritik geraten. Dabei hat der HSV-Chef Erfahrung mit Entlassungen

Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn Dietmar Beiersdorfer im Sommer 2014 nicht auf sein Herz sondern auf seinen Kopf gehört hätte. Damals, der HSV hatte gerade in der Relegation die Klasse gegen Greuther Fürth gerettet und die Ausgliederung mit überwiegender Mehrheit beschlossen, hatte der gebürtige Fürther die Qual der Wahl: Vorstandsvorsitzender beim HSV – oder als Direktor zum Topclub Paris Saint-Germain. Nach einer schlaflosen Nacht, so wird es sich jedenfalls erzählt, stand Beiersdorfers Entscheidung fest: alle rationalen Gründe sprachen für Paris, die Stadt der Liebe. Beiersdorfer aber entschied sich für Hamburg, seine Stadt der Liebe.

Knapp zweieinhalb Jahre später steht der 52-Jährige im Bauch des Volksparkstadions. Müde, trübe Augen, leerer Blick. Umzingelt von Kameras muss Beiersdorfer erklären, wieso, weshalb, warum. „Ich sah mich gezwungen, diese Entscheidung für den HSV zu treffen“, sagt der HSV-Chef. Die Entwicklung der Mannschaft unter dem beurlaubten Bruno Labbadia sei nicht zu erkennen gewesen, deswegen habe er handeln müssen. Beiersdorfer wird über die Konstellation mit Milliardär Kühne, Berater Struth und dem lustigen Calmund („Diese Herren sind Berater von Herrn Kühne, nicht vom HSV“) befragt, seinen Anteil an der Krise („Wir sind auf dem richtigen Weg“) und die fehlende Entwicklung unter seiner Führung („Inhaltlich, infrastrukturell und konzeptionell haben wir uns verbessert“). Besonders oft wird die Art und Weise von Labbadias Beurlaubung hinterfragt. „Ich hätte gerne ein persönliches Gespräch gehabt“, sagt er. „Bruno sagte aber, dass er das am Telefon machen wollte. Und so haben wir es gemacht.“

Das Frage-und-Antwort-Gewitter dauert eine Dreiviertelstunde. Immer wieder sagt Beiersdorfer, dass es nun mal nicht den perfekten Moment für eine Entlassung gebe. Er gibt offen zu, dass es bereits vor dem ersten Spieltag Differenzen gegeben hat, dass man bereits nach der vergangenen Saison Zweifel an Labbadia hatte und dass er bewusst schon nach dem dritten Spieltag gegen Leipzig Labbadia den Rückhalt verwehrt hatte: „Ich bin keiner, der heute das sagt und morgen so handelt.“

Je länger Beiersdorfer redet, desto deutlicher wird, dass sich irgendwann in den vergangenen Jahren die Prioritäten zwischen Kopf und Herz verschoben haben müssen. Seit sich der frühere Verteidiger für Hamburg und gegen Paris entschied, wechselte er viermal den Trainer und entließ zwei Sportchefs. Mirko Slomka musste nach dem dritten Spieltag gehen, Oliver Kreuzer schickte er als Vereinsvertreter auf eine China-Reise, um ihn am Tag nach seiner Rückkehr zu entlassen. Der Streit zwischen den beiden endete vor dem Arbeitsgericht. Und Ex-Sportchef Peter Knäbel, das vorletzte Entlassungsopfer, soll erst nach mehrfacher, interner Aufforderung ein Vieraugengespräch mit dem HSV-Chef gewährt worden sein, in dem ihm die längst beschlossene Entscheidung nicht mal ins Gesicht gesagt worden sein soll. Theorie und Praxis des im eigenen Leitbild festgehalten Umgangs miteinaner liegen in allen Fällen so weit auseinander wie Hamburg von Paris.

Nun also Labbadia. Beiersdorfer wird gefragt, wie und an welcher Stelle diese Männerfreundschaft zerbrechen konnte. „Natürlich ist es so, dass an einem gewissen Punkt offensichtlich wird, wenn die hundertprozentige Überzeugung nicht mehr da ist. Dann wird es auch schwierig in der Kommunikation“, antwortet Beiersdorfer verklausuliert. In anderen Worten: Das Herz mag dann das eine sagen, der Kopf muss aber das andere entscheiden.

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