Rio de Janeiro. Der deutsche Verband zieht eine positive Bilanz der Spiele in Rio, sieht aber ein Dopingproblem. Hamburger Sportler waren erfolgreich wie nie

Mit gemischten Gefühlen haben Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), und sein Chef de Mission Karl Quade die Paralympics in Rio de Janeiro analysiert. die am Sonntag zu Ende gingen. Beucher machte wie bei den Olympischen Spielen ein akutes Dopingproblem aus: „Der internationale Sport hat ein Glaubwürdigkeitsproblem wie nie. Über vielen Nationen, die im Medaillenspiegel über uns stehen, schwebt ein berechtigtes Misstrauen. Wenn im Fußball einer Foul spielt, muss er vom Platz. Wenn hier einer Foul spielt, hat er Glück, wenn er zum richtigen Verband gehört.“ Die 1500 Kontrollen rund um die Paralympics seien zwar „mehr als je zuvor. Das heißt aber auch, dass es unkontrollierte Athleten gab, die Siege gefeiert haben. Es kann nicht sein, dass ein Athlet, den zwei Jahre vorher noch niemand kannte, plötzlich von Weltrekord zu Weltrekord läuft.“

Ähnlich äußerte sich Quade. Ihn wunderte die Weltrekord-Flut in Brasilien. „Eigentlich habe ich einen Sättigungsbereich erwartet. Dafür, dass er nicht eingetreten ist, gibt es vier Gründe: die verbesserte Trainingsmethodik, das bessere Material, den gestiegenen Professionalismus – und eventuell Doping.“ Die Baustellen Doping und Klassifizierung müssten geschlossen werden, forderte Quade: „Da stehen die Verbände in der Bringschuld. Wenn nicht alle Athleten unter gleichen Bedingungen antreten, ist alles witzlos.“

Für den DBS waren die Spiele in Rio aber ein Erfolg. Mit 57 Medaillen waren es zwar neun weniger als in London 2012, doch die Zahl der Goldmedaillen blieb gleich – und im Medaillenspiegel verbesserte sich Deutschland von Rang acht auf sechs. Vor allem in der Leichtathletik habe man „Heroes“, sagte Quade mit Blick auf die Weitsprungsieger Markus Rehm, der mit 8,21 Metern neuen paralympischen Rekord sprang, und Heinrich Popow oder den dreifachen Medaillengewinner und vierfachen Europarekordler David Behre. „Wir haben in elf Sportarten Medaillen geholt, und in allen anderen außer Segeln haben wir zumindest einen vierten Platz“, sagte Quade. Neben der Leichtathletik war aber nur der (Straßen-)Radsport mit acht Goldmedaillen richtig erfolgreich. „Da haben wir gutes Material, Ausnahmeathleten – und wir hatten manchmal auch das Quäntchen Glück im Sprint“, meinte Quade.

Schlecht war dagegen die Ausbeute der Schwimmer. Nur drei Plaketten wurden es, darunter keine goldene. „Warum es nicht so lief, werden wir herausfinden“, sagte Quade: „Bange ist mir nicht, aber die Frage ist, ob wir den Hebel einfach so umlegen können.“

Insgesamt mahnte Beucher: „Um das zu halten, was wir hier abgeliefert haben, haben wir nicht die Mittel.“ Mit sieben hauptamtlichen Trainern in 23 paralympischen Sportarten „sind wir nicht zukunftsfähig. Professioneller Leistungssport kostet Geld. Ein Athlet, der sich vorbereitet auf Tokio 2020, hat nur eine Chance, wenn wir das Angebot der dualen Karriere ausbauen.“

Rio als Ausrichter funktionierte aber. Die Hallen waren voll, die Athleten zufrieden, der Transport lief gut, Zika war kein Thema, kriminelle Zwischenfälle wurden nicht bekannt. Beim deutschen Fernsehpublikum fanden die Veranstaltungen etwas weniger Anklang als 2008 und 2012. 0,49 Millionen Zuschauer verfolgten täglich die Übertragungen bei ARD und ZDF. Der Marktanteil der Sendungen betrug 6,8 Prozent.

„Einen Schatten auf die großartigen Spiele“ warf nicht nur für Sir Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), der Tod des iranischen Radfahrers Bahman Golbarnezhad. Der 48-Jährige starb nach einem Unfall im Straßenrennen. Das vielleicht treffendste Gesamtfazit zog Marianne Buggenhagen, deren siebte Paralympics auch ihre letzten waren. „Ich habe schon bessere Spiele gesehen“, sagte die Berlinerin (63), „aber auch schon viel schlechtere.“

Besonders negativ fiel auf, dass IOC-Präsident Thomas Bach den Paralympics keinen Besuch abstattete. Dass er angeblich andere Termine hatte, ist als Ausrede an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Auch der Schlussfeier, bei der die Hamburger Rollstuhlbasketballerin Annika Zeyen die deutsche Fahne trug, blieb Bach fern. Wollte er ein Zeichen setzen, weil das IPC im Gegensatz zum IOC Russland von den Spielen ausgeschlossen hatte – oder fürchtete er das Verhör der brasilianischen Behörden, die ihn zum Schwarzmarkthandel mit Olympiatickets des irischen IOC-Mitgliedes Patrick Hickey befragen wollten? Bach äußerte sich dazu nicht.

Aus Hamburger Sicht verliefen die Paralympics erfolgreich wie nie. Gold durch HSV-Handbikerin Dorothee Vieth, Silber im Rollstuhlbasketball der Frauen mit den HSV-Spielerinnen Zeyen, Gesche Schünemann, Maya Lindholm und Simone Kues sowie Bundes- und HSV-Trainer Holger Glinicki. Weitere Medaillen sicherten zwei neu verpflichtete Spieler der BG Baskets vom HSV: Jake Williams (USA) und Ghazian Choudhry (Großbritannien) gewannen mit ihren Rollstuhlbasketball-Nationalteams Gold und Bronze. „Die Ergebnisse verdeutlichen, dass unsere Projekte in der Sportförderung auf einem sehr guten Weg sind. Daran wollen wir nun anknüpfen und zudem weitere Förderer für diesen Weg begeistern“, sagte Jens Meier, der Präsident des HSV e. V.

Alle Hamburger Olympiateilnehmer, der Sommerspiele und der Paralympics, werden am Dienstagabend im Rathaus von Bürgermeister Olaf Scholz empfangen und geehrt. (HA)