Hamburg. Kaum irgendwo wird so viel und zugleich so wenig geredet wie auf Pressekonferenzen. Besonders Bruno Labbadia ist ein Meister dieses Fachs. Eine Beobachtung in drei Akten

13.34 Uhr. Die nächste Aufführung des Theaterstücks beginnt. Nacheinander betreten Nebendarsteller Jörn Wolf (der HSV-Mediendirektor) und Hauptdarsteller Bruno Labbadia (der HSV-Trainer) das erhöhte Podest im ersten Stock des Volksparkstadions. Eigentlich ist alles wie immer. Labbadia hat ein dunkelblaues HSV-Poloshirt an, dazu eine passende Trainingshose. Ein paar einleitende Worte, ein paar höfliche, nichtssagende Fragen, ein paar höfliche, aber nichtssagende Antworten. Und nach 15:10 Minuten ist das Spektakel wieder vorbei. Pressekonferenzalltag.

Doch warum finden sich jeden Donnerstagmittag zwischen 20 und 40 Medienvertreter ein, wenn auf der sogenannten Spieltagspressekonferenz (kurz: PK) die wirklich wichtigen Fragen doch eigentlich gar nicht gestellt und natürlich auch nicht beantwortet werden? Eine Erklärung findet man vielleicht, wenn man sich alle bisherigen PKs dieser Saison, also alle Frage-und-Antwort-Runden vor den Spielen gegen Ingolstadt, Leverkusen und nun Leipzig, noch einmal hintereinander anschaut. Fügen sich die Sequenzen dann zu einem großen Ganzen?

„Man sollte irgendwann auch mal dem Trainer vertrauen“, antwortet Labbadia. Am 25. August. Vor dem Saisonauftakt gegen Ingolstadt. „Ich bin in der Verantwortung – und der habe ich mich auch immer gestellt“, sagt er. Am 8. September. Vor dem Auswärtsspiel in Leverkusen. Und: „Mich interessiert nur, wer der Mannschaft am besten hilft. Nur danach stelle ich auf“, so Labbadia. Gesagt am 15. September. Vor dem Heimspiel gegen RB Leipzig.

Ein bisschen Kritik kann ja nicht schaden. Aber Labbadia lässt sich nur selten aus der Reserve locken. Vor dem Saisonauftakt gegen Ingolstadt zum Beispiel, als er gefragt wird, warum er Alen Halilovic nicht im Zentrum spielen lässt. „Ich muss das alles ein bisschen belächeln“, antwortet der Trainer genervt. „Ich weiß nicht, wie viele hier im Raum Alen schon bei anderen Vereinen gesehen haben.“ Insgesamt 3:20 Minuten dauert seine Antwort. Man merkt, dass das Thema Halilovic für Labbadia ein Reizthema ist. Auch am Donnerstag noch. Ähnliche Frage, andere Antwort. „Wir werden immer wieder schauen, ob er uns weiterhelfen kann.“ Punkt. 3,2 Halilovic-Sekunden reichen. Fragen und Antworten zum Gegner laufen meistens nach dem gleichen Muster ab. Erst die Anerkennung, dann die Ansage. „Der Club ist seit zwei oder drei Jahren eingespielt. Die Mannschaft ist laufstark, sehr unangenehm zu bespielen.“ (Ingolstadt) „Wir treffen auf eine sehr spielstarke Mannschaft, die über Jahre oben mitgespielt hat.“ (Leverkusen) Und: „Der gute Start ist keine Überraschung. Die Mannschaft hat enorm viel Selbstvertrauen.“ (Leipzig) Dann die Ansage: „Wir freuen uns natürlich auf das Spiel.“ (Ingolstadt) „Wir werden dagegenhalten.“ (Leverkusen) Und: „Wir haben so richtig Bock, dagegenzuhalten.“ (Leipzig).

Labbadia ist höflich, zuvorkommend und manchmal sogar lustig. Vor der Partie gegen Leverkusen hatte der Coach die Lacher auf seiner Seite, als er zu Beginn ankündigte, den zweifachen Länderspiel-Torschützen Emir Spahic künftig im Sturm aufstellen zu wollen. Doch der schwache Saisonstart hat auch bei Labbadia Spuren hinterlassen. Vor der Partie gegen Leipzig verzichtet der Fußballlehrer auf Schenkelklopfer. Die wiederholten Nachfragen zum ach so ungeduldigen Umfeld scheinen ihn dagegen zu stören. „Das habe ich ja vor einer Woche beantwortet“, sagt er. Auch auf eine Nachfrage zu den Neuzugängen, die bislang nicht so zum Zuge gekommen sind, reagiert er ungewohnt schroff: „Ich würde mir wünschen, dass ihr irgendwann mal aufhört, immer nur von den Neuen zu sprechen.“

Seit 17 Monaten ist Bruno Labbadia beim HSV im Amt. Schon wieder im Amt. Bereits in der Saison 2009/2010 war er in Hamburg unter Vertrag. An diesem Sonnabend steht er zum 75. Mal als HSV-Coach an der Seitenlinie. Seine Bilanz: 26 Siege, 22 Unentschieden, 26 Niederlagen. Nicht gut, aber auch nicht schlecht. „Ich war vor 17 Monaten in der Verantwortung, die Mannschaft zu retten. Vor einem Jahr war ich in der Verantwortung, die Mannschaft zu stabilisieren. Und jetzt bin ich in der Verantwortung, die Mannschaft zu entwickeln“, sagt er. Vor dem Spiel gegen Leverkusen. Doch das Spiel ging verloren. Und nun also Leipzig. Ein Sieg wäre wichtig. Für seine Bilanz. Für die Tabelle. Und vielleicht auch für seine Laune. „Wenn ich mir die Spielweise von RB anschaue, dann muss ich mich richtig auf das Spiel freuen“, sagt er – und lächelt erstmals an diesem Mittag flüchtig.

Fragen zur Aufstellung kann man sich für gewöhnlich sparen, genauso wie Nachfragen zu einzelnen Spielern. Diese werden normalerweise in bester Pep-Guardiola-Manier („super, super“) gelobt. Douglas Santos? „Ein guter Junge.“ Bakery Jatta? „Sein guter Start hat ihm wahnsinnig gutgetan.“ Bobby Wood? „Es hat ihm gutgetan, dass wir ihn mal für einen Tag aus dem Training genommen haben.“ Zwar nicht super super, aber doch alles gut.

Vor dem Ingolstadt-Spiel war nach 18:04 Minuten alles gesagt, vor der Partie in Leverkusen wurde 14:23 Minuten geredet und gestern dauerte das Theater eine gute Viertelstunde. „Noch Fragen an den Trainer?“, fragte Mediendirektor Wolf zum Schluss. Dann fiel der Vorhang. Die nächste Aufführung ist für Sonnabend terminiert. Gegen 18 Uhr. Nach dem Spiel gegen Leipzig. „Ich freu mich drauf“, sagt Labbadia.

Der HSV hat den Vertrag mit Mittelfeldtalent Finn Porath (19) bis Ende Juni 2020 verlängert.