Hamburg. Beim 1:3 in Leverkusen deckt der dreifache Pohjanpalo die HSV-Probleme auf

Die erste Videoanalyse hatte Bruno Labbadia am Sonntagmorgen schon hinter sich. Die ersten Daten waren ausgewertet, die ersten Fehler bereits gefunden. Um zu erklären, was dem HSV am Nachmittag zuvor wiederfahren war, musste der Trainer dann aber doch auf einen Satz zurückgreifen, der aus einer Zeit stammt, als das Wort Videoanalyse in der Fußballfachliteratur noch keine Rolle spielte: „Ein Spiel dauert 90 Minuten“, sagte Labbadia und bemühte den alten Sepp-Herberger-Spruch.

Hätten die Profis des HSV diesen Satz nicht so wörtlich genommen, hätte Labbadia vermutlich nicht eine 1:3 (0:0)-Niederlage bei Bayer Leverkusen erklären müssen, sondern über einen verdienten Punkt bei einem Champions-League-Teilnehmer gesprochen. Blöderweise hatte seine Mannschaft nach 90 Minuten das Fußballspielen eingestellt. Es lief bereits die Nachspielzeit, als der bis dahin über die Stadtgrenzen von Leverkusen hinaus nicht sonderlich bekannte Joel Pohjanpalo mit zwei Schüssen den HSV ins Herz traf.

Der Finne, 21 Jahre alt, 184 Zentimeter groß und 79 Kilogramm schwer, hatte zwar bereits am ersten Spieltag getroffen und auch am Sonnabend in der BayArena sieben Minuten nach seiner Einwechslung den Ausgleich markiert (79.), doch alleine die Freiheit bei seinem Tor zum 2:1 verdeutlichte, dass der HSV den Stürmer irgendwie nicht zuordnen konnte. „Da war selbst Leverkusen nicht drauf eingestellt“, sagte Labbadia am Tag danach gequält ironisch. Daher noch einmal zum Mitschreiben: Poh-jan-pa-lo. Vier Silben, drei Treffer.

Bayers Bilderbuchgeschichte war für den HSV am Sonnabend aber nur eins: ein Stimmungstöter. Bis zum ersten Tor des Jokers hatten die Hamburger saisonübergreifend ihr wohl bestes Auswärtsspiel des Jahres gemacht. Mit einer organisierten Mannschaftsleistung ließ Labbadias Elf die Leverkusener Individualisten lange Zeit kaum gefährlich werden. Bobby Wood hatte den HSV in der zweiten Halbzeit nach einem Konter über Michael Gregoritsch und einem Patzer von Bayer-Keeper Bernd Leno in Führung gebracht (58.). Für den US-Stürmer war es das zweite Tor im zweiten Spiel für den HSV (Bericht unten). Doch für diese Geschichte interessierte sich am Ende kaum jemand. Die Geschichte des Tages hatte nur einen Namen: Pohjanpalo.

In der zentralen Defensive fehlt dem HSV Personal

„Wir sind total frustriert“, sagte Torhüter René Adler. „Wenn man Leverkusen auswärts am Rande einer Niederlage hat und dann mit 1:3 nach Hause fährt, und man weiß gar nicht, was passiert ist, nervt das.“ Dabei wusste Adler im Grunde ganz genau, was passiert war und warum der HSV am Ende punktlos die Heimreise antrat. „Wenn man drei Gegentore in zwölf Minuten bekommt, ist das einfach nicht clever.“

Adler dürfte sich erinnert gefühlt haben an den Saisonstart gegen Ingolstadt und an viele Spiele in der vergangenen Saison, als der HSV mehrfach eine 1:0-Führung aus der Hand gegeben hat. „Wir haben es nicht in den Kopf reingekriegt, dieses 1:1 unbedingt mitnehmen zu wollen“, sagte Aaron Hunt. „So ein Spiel dürfen wir nicht mehr verlieren. Das war naiv.“ Gotoku Sakai und Lewis Holtby attestierten sich ebenfalls fehlende Cleverness. „Das ist unser Problem. Aber das kann man lernen“, so Sakai.

Der Lernerfolg fällt bislang allerdings bescheiden aus. Insbesondere mit den drei Wechseln verlor der HSV seine Struktur. Vor allem die Einwechslung des gerade erst wieder genesenen Albin Ekdal für den von Krämpfen geplagten Rückkehrer Lewis Holtby sollte das Spiel entscheiden. Ekdal kam mehrfach einen Schritt zu spät, so auch beim entscheidenden Tor zum 2:1, als seine Grätsche gegen Vorbereiter Benjamin Henrichs ins Leere lief.

Das Problem: Ekdal war auf der Bank die einzige Alternative im Defensivzentrum. Sowohl auf der Sechs als auch in der Innenverteidigung fehlt dem HSV das Personal. Wäre der angeschlagene Cléber nicht rechtzeitig fit geworden, hätte der Trainer keinen zweiten Innenverteidiger zur Verfügung gehabt. „Das ist nicht optimal, aber wir können es nicht ändern“, sagte Labbadia am Sonntag.

Mit nur einem Zähler nach zwei Spieltagen steht der HSV auf Platz 15 vor dem Spiel gegen Aufsteiger RB Leipzig schon gehörig unter Druck. „Es kommt jetzt Schlag auf Schlag“, sagte Labbadia, wohlwissend, dass er Erfolgserlebnisse braucht und Leipzig mit reichlich Euphorie nach Hamburg reist. Labbadia stellt sein Team schon jetzt auf 90 intensive Minuten ein. Und wenn sein Team bis dahin Cleverness gelernt hat, könnten es dann auch ein paar Minuten mehr sein.