Wie bei den Profis gibt es für Junioren Ablösesummen für wechselwillige Spieler. Ist das gerecht? Sprengkraft wie Bosman-Urteil.

Söhren Grudzinski wirkt wirklich nicht wie ein Revoluzzer. Der 41-Jährige Ex-Profi, der mit dem SV Meppen 1999 bis in die dritte DFB-Pokalrunde gegen Bayern München vorstieß (1:4), ist in seiner Funktion als Fußballabteilungsleiter ein Gesicht des Farmsener Amateurclubs SC Condor. Seine Außendarstellung ist höflich und zuvorkommend. Er spricht meist in ruhigem Tonfall, die große Pose überlässt er anderen Protagonisten des Hamburger Amateurfußballs. Was Grudzinski jedoch fordert, käme einer kleinen Revolution gleich: Transferfreiheit bei Jugendmannschaften im Amateurbereich.

Transferfreiheit bei Jugendmannschaften

„Im Jugendfußball sollte es keine Ablösesummen geben. Der DFB sollte diese Regelung abschaffen. Und alle Vereine sollten viel mehr die Entwicklung der Spieler als ihr eigenes Wohl im Auge haben“, sagt der früher bei den Fans besonders für seine überragenden Flanken geschätzte Außenverteidiger. Sein SC Condor ist ein ambitionierter Hamburger Amateurverein. Die erste Mannschaft mischt als Aushängeschild aktuell in der Spitzengruppe der fünftklassigen Oberliga Hamburg mit. Eine Staffel tiefer, in der zweithöchsten Spielklasse, folgt bereits das zweite Herrenteam, welches als Aufsteiger auf Anhieb in die oberen Tabellengefilde vorgestoßen ist.

Junioren-Ausbildung ist teuer

Um dieses Niveau zu halten, benötigt Condor – vom Profil ein klassischer Breitensportverein mit einem gewissen Leistungsanspruch – einen guten Unterbau. Dieser ist vorhanden. Die U19 spielt in der zweithöchsten Staffel, der Junioren-Regionalliga. U17, U16 und U15 laufen in der Junioren-Oberliga Hamburg (3. Liga) auf. Das alles ist natürlich teuer. Ausgebildete Trainer, Physiotherapeuten, weite Auswärtsfahrten verschlingen eine Menge kosten. „Amateurvereine können nicht mit Geld um sich schmeißen, generell sollte es noch mehr Unterstützung für die Vereine geben und nicht unrealistische Ablösevorgaben“, erklärt Grudzinski.

Keine Ablöse sondern Ausbildungsentschädigung

Grundlegend für diese Ablösesummen ist die Jugendordnung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Streng genommen stimmt der Begriff „Ablösesummen“ nicht. Die Rede ist von einer „Ausbildungsentschädigung“. Die Landesverbände des DFB, so auch der Hamburger Fußballverband (HFV), setzen diese Vorgaben um. Verbindlich sind sie aber nicht. So heißt es in § 17, Absatz 5 der HFV-Jugendordnung bezüglich der D- bis A-Jugend: „Ersatz der Zustimmung zum Vereinswechsel ist durch Zahlung einer Entschädigung dieser Altersklassen möglich. Bei Abmeldung eines Juniors/ Mädchens zum 30.6. und Eingang des Antrages bis zum 31.8. kann die Zustimmung des abgebenden Vereins durch den Nachweis über die Zahlung nachstehend festgelegter Entschädigungen ersetzt werden.“

Ligazugehörigkeit maßgeblich für Entschädigung

Es handelt sich also um eine Kann-Bestimmung. Der abgebende Club kann auf einer Ausbildungsentschädigung bestehen, muss es aber nicht. Maßgeblich für die Höhe dieser Summe ist allein „die Spielklassenzugehörigkeit der ersten Mannschaft“, wie weiter ausgeführt wird. Dazu kommen Grundbeträge pro Saison, die der wechselnde Spieler in seinem alten Club verbracht hat. Konkret gefasst wird das Ganze in eine Tabelle. Holt ein Hamburger Oberligist, zum Beispiel der SC Condor, einen männlichen U15-Spieler von einem Verein, dessen erste Mannschaft in der Bezirksliga spielt, werden 750 Euro Ausbildungsentschädigung fällig. Zuzüglich 50 Euro pro Saison (maximal 6 Saisons), die der Jugendspieler bei seinem alten Verein verbracht hat. Kickte er dort beispielsweise fünf Jahre, zahlt der Oberligist also 1000 Euro für sein neues Talent.

Nur wenige Talente schaffen es

Doch inwieweit ist eine solche Regelung innerhalb des reinen Amateurbereichs sinnvoll? Nur die wenigsten jungen Talente schaffen es schließlich früh zum HSV oder zum FC St. Pauli und werden zusätzlich später noch Profis. Würde es nicht reichen, Zahlungen erst dann in Kraft treten zu lassen, wenn der Spieler tatsächlich seinen ersten Profivertrag unterschreibt? Grudzinski sieht es so.

Vereine können Wechselwillige sperren

Unterstützung erhält er vom Jugendleiter des Hamburger Oberligakonkurrenten SC Victoria, Shaher Shehadeh: „Ich halte von dieser Regelung nichts bei Wechseln innerhalb von Amateurclubs. Bei Wechseln zu Proficlubs finde ich eine Ausbildungsentschädigung wichtig und richtig. Ich würde die Sperren, die es zum Saisonende gibt, falls der abgebende Verein keine Freigabe gibt, aufheben. Zurzeit sind diese Spieler bei fristgerechten Wechseln bis zum 1. November gesperrt“, sagt Shehadeh. Dieser Punkt ist genau der Hebel, über den die Vereine verfügen, die auf Ausbildungsentschädigung bestehen. Sie können ihren wechselwilligen Spieler bei Nichtzahlung der Summe vom Verband für drei Monate sperren lassen.

Okun: Ablösesummen sind Ausnahmen

Wie oft nun wirklich Vereine darauf beharren, Bares für einen Wechsel zu sehen, darüber gehen die Ansichten auseinander. Grudzinski sagt, er kennt viele Fälle, möchte aber auch aus Schutz gegenüber den betroffenen Familien und Jungkickern keine Namen nennen. Christian Okun, Vorsitzender des Verbands-Jugendausschusses des HFV, ist anderer Meinung. „Meines Erachtens sind im Bereich des HFV Ablösesummen eine Ausnahme, zumal die Spieler keine Verträge haben. Eine Ausnahme sind die meisten Spieler der Junioren-Regionalliga und Junioren-Bundesliga.“

Spielbetrieb kostet Geld

Die Ausbildungsentschädigung selbst verteidigt er: „Hat ein Verein einen Spieler von der G-Jugend an ausgebildet und der Spieler möchte nun wechseln und den Verein verlassen, sehen viele Vereine den Ablösebetrag als eine Art Ausbildungsentschädigung. Gute, ausgebildete Trainer kosten den Verein Geld. Gleiches gilt für Instandhaltung und Betrieb der Anlage. Hinzu kommen Ausrüstungen wie Bälle oder Trainingsutensilien. Die Beträge zur Ausbildung können selten ausschließlich durch Sponsoren gedeckt werden.“ Die Ausbildungsentschädigung sei „grundsätzlich richtig. Die Höhe und in vielen Fällen auch die Angemessenheit ist aber einzelfallabhängig oder manchmal auch fragwürdig“.

Vereine müssen ihre Kosten decken

Okuns Argumentation ist so etwas wie ein „umgedrehter Grudzinski“. Dort wo der Ex-Profi Wechselhickhack und einen Verschiebebahnhof von Geldern sieht, der unnötig Zeit, Nerven und manchmal auch Bares kostet, betont der andere (Okun) die Wichtigkeit der Ausbildungsentschädigung – gerade damit die Vereine ihre Kosten decken können. Und sieht außerdem längst nicht so viele Fälle wie Grudzinski.

Profis dürfen ohne Ablöse wechseln

Condors Fußballabteilungsleiter stößt sich zudem aber auch, wie Victorias Jugendleiter Shehadeh, am rechtlichen Prinzip. „Mir erschließt sich nicht, warum Profispieler nach Ablauf ihres Vertrages ablösefrei wechseln dürfen, Jugendspieler aber nicht, obwohl sie gar keinen Vertrag haben. Diese können bei Nichtzahlung einer Ablösesumme bis zu drei Monate gesperrt werden. Das passt nicht.“

Sprengkraft wie das Bosman-Urteil?

Ob eine Klage ähnliche Sprengkraft entfalten könnte wie das berühmte Urteil im Fall des belgischen Profispielers Jean-Marc Bosman im Jahre 1995, der sich vor dem Europäischen Gerichtshof das Recht auf einen ablösefreien Wechsel nach ausgelaufenem Vertrag erkämpfte und so die Fußballwelt revolutionierte, wird wohl nie geklärt werden. Dass es dazu kommt, ist nämlich äußerst unwahrscheinlich. Eine dreimonatige Spielsperre reicht für einen Jugendspieler nicht als Anreiz, um gemeinsam mit seiner Familie eine jahrelange Grundsatzklage durchzuziehen.

Kooperationen zwischen Teams

Vielleicht ist dies sowieso nicht nötig. Neben der Ausbildungsentschädigung entwickelt sich seit einiger Zeit ein zweites System im Jugendfußball. Grudzinski beschreibt es so: „Der SC Condor setzt Kooperationsvereinbarungen mit anderen Vereinen um, beispielsweise mit dem SC Victoria und Eintracht Norderstedt. Wir vereinbaren, für wechselwillige Spieler bei Transfers zwischen den Vereinen keine Ablösesummen zu verlangen. So schieben wir nicht bei jedem Transfer Geld hin und her, was letztlich keinen Sinn macht. Es geht um ein respektvolles Miteinander.“