Hamburg. Sportpsychologin Anett Szigeti über die Arbeit mit den Beachvolleyball-Olympiasiegerinnen Ludwig/Walkenhorst, über Krisen und Perspektiven

Wenn am nächsten Donnerstagabend in Timmendorfer Strand die 24. deutschen Beachvolleyballmeisterschaften eröffnet werden, wird mit den Olympiasiegerinnen Laura Ludwig/Kira Walkenhorst, und das ist ein Novum, auch ihr Team auf dem Seebrückenvorplatz einlaufen: Chefcoach Jürgen Wagner, Hamburgs Landestrainerin Helke Claasen, die Physiotherapeuten Katharina Hubert und Jochen Dirksmeyer sowie die Sportpsychologin Anett Szigeti. Ohne diese Mannschaft, betonen Ludwig/Walkenhorst, wäre der Triumph an der Copacabana nicht möglich gewesen. Hubert, Dirksmeyer und Szigeti hatte das HSV-Duo auf eigene Kosten nach Rio einfliegen lassen und dort für sie ein Appartement gemietet. Wagner und Claasen gehörten zum Betreuerstab der deutschen Olympiamannschaft. Das Abendblatt sprach mit Szigeti (36) über den Weg zum Gold.

Frau Szigeti, Sie arbeiten seit drei Jahren mit Ludwig/Walkenhorst zusammen. Welche psychologischen Kniffe haben Sie den beiden in dieser Zeit vermitteln können?

Anett Szigeti: Das ist ein falsches Verständnis der Arbeit eines Sportpsychologen. Es geht nicht nur um Tipps und Tricks, vielmehr bei optimaler Betreuung um eine langfristige individuelle psychologische Arbeit, um Trainings- und Wettkampfbegleitung, regelmäßige Reflexion und auch Betrachtung der Rahmenbedingungen und des Anpassens dieser, also um Dinge, die man gar nicht voraussehen kann und dann gemeinsam neu erarbeiten muss. Ziel ist das Erreichen einer mentalen Stabilität, um in jeder Situation die beste sportliche Leistung abrufen zu können.

Hinzu kommt beim Beachvolleyball diese ganz spezielle Partnerschaft, dass ein Team nur aus zwei Personen besteht. Wirft diese Beziehungsform zusätzliche Probleme auf?

Diese Konstellation verlangt gegenseitigen Respekt, Empathie, Vertrauen, Kompromissbereitschaft, ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Laura und Kira haben bei allen Gegensätzlichkeiten in einem nicht immer gradlinigen Prozess zueinandergefunden. Sie sind beide herausragende Persönlichkeiten.

In Rio standen sie als Weltranglistenerste unter hohem Erwartungsdruck. Wie sind sie damit zurechtgekommen?

Das ist auch eines dieser Missverständnisse. Man hat keinen Druck, Druck kann man sich nur selbst machen. Wie dieser Druck aussieht, ob er positiv oder negativ wahrgenommen wird, motivierend oder leistungshemmend wirkt, hat mit Lernerfahrungen, Glaubenssätzen und der Struktur der eigenen Persönlichkeit zu tun. Diese Zusammenhänge muss man erkennen, an ihnen arbeiten und entsprechende Verhaltensweisen entwickeln und dysfunktionale Gedankenmuster verändern.

Das klingt nach Psychotherapie.

Das ist nicht mein Ansatz. Jedoch glaube ich, dass man neben den sportpsychologischen Tools viele Methoden und besonders die Haltungen aus dem Bereich der Therapie anwenden sollte.

Ludwig/Walkenhorst sind unter den zehn weltbesten Teams die Emporkömmlinge. Im Juni 2015 wurden sie bei der WM in den Niederlanden 17., nur 14 Monate später Olympiasiegerinnen. Wie ist es Ihnen gelungen, den Respekt vor den lange höher eingeschätzten Gegnerinnen abzubauen?

Es geht nicht um den Abbau von Respekt, der sollte immer vorhanden sein. Es geht um die Entdämonisierung der Gegnerinnen. Eine Königin ist nur eine Königin, wenn du sie dazu machst. Die US-Amerikanerin Kerry Walsh, die dreimalige Olympiasiegerin, ist ein solches Phänomen in der Beachszene. Sie gewinnt mit äußerst selbstbewusstem, entschlossen wirkendem Auftreten und ist mental sehr fit. Gleichzeitig hat auch sie Schwächen. Dies zu erkennen und konsequent umzusetzen, ist einer der Schlüsselpunkte. Laura und Kira waren eine Einheit im Finale und dabei sehr fokussiert und entschlossen. Die Brasilianerinnen Agatha/Barbara schienen als Team nicht optimal zusammenzuspielen, haben weit weniger kommuniziert.

Ludwig/Walkenhorst sprechen immer wieder von bestimmten Ritualen, die sie mit Ihnen einstudiert haben und die sie vor und während der Wettkämpfe ausüben. Was passiert da genau?

Das bleibt ein Berufsgeheimnis. Grundsätzlich geht es darum, sich auf psychisch bekanntem Terrain bewegen zu können, also um die Fähigkeit, auch in schwierigen Spielsituationen an die eigenen Stärken zu glauben und diese abzurufen. Und das egal, wer auf der anderen Seite steht – und ob es Olympia ist oder ein Trainingsspiel in Hamburg.

Das haben beide hervorragend geschafft. Warum?

Weil sie absolut fokussiert auf die Wettkämpfe waren und sich ihrer Ressourcen bewusst sind. Sie haben sich durch nichts ablenken lassen, haben in Rio bis zum Ende des Turniers alle noch so attraktiven Veranstaltungen nicht besucht und sich regeneriert. Als Laura und Kira vor vier Jahren zusammenkamen, war es ihr Ziel, in Rio ihr bestes Beachvolleyball zu spielen. Dieses Projekt haben sie mit bewundernswerter Konsequenz durchgezogen, auch dank eines visionären und erfahrenen Trainers wie Jürgen Wagner.

Diese Fokussierung hätte in Rio auch zu einem Lagerkoller führen können, schließlich dauerte das Turnier elf Tage, fast dreimal so lange wie normale Beachvolleyball-Events auf der Welttour.

Keine Sorge, wir hatten in Rio unseren Spaß. Wenn man aber in seinem gewohnten Umfeld bleibt, spart das mentale Energie, die man im Wettkampf gut gebrauchen kann. Das Team kann ich nur als synergetisch beschreiben, jeder weiß, was er zu tun hat und wann er sich zurückzieht. Auch ich kann nur so gut arbeiten, wie mich das Team lässt.

Gab es in den drei Jahren der Zusammenarbeit auch kritische Situationen?

Ich glaube, zum Leben gehören Niederlagen dazu, um daraus wachsen zu können. Die Weltmeisterschaft 2015, Platz 17 dort, war sicherlich der bisher kritischste Moment. Danach haben wir vieles reflektiert und dann gemeinsam einen Weg gefunden, wie wir weiterarbeiten wollten. Offensichtlich haben alle die richtigen Schlüsse gezogen.

War damals auch von Trennung die Rede?

Nein.

Als Psychologe sollte man einen gewissen Abstand zu seinen Klienten halten. Haben Sie als Teammitglied noch die notwendige professionelle Distanz zu beiden?

Da trenne ich strikt zwischen Beruf und Freizeit. Das hat bisher bestens funktioniert. Zudem lasse ich mich regelmäßig von Kollegen supervidieren. Wenn es die Gefahr einer Vermischung von Beruflichem und Privatem bestünde, würde ich sofort reagieren.

Wie geht es weiter?

Wir werden uns nach dem Major-Finale in Toronto Mitte September zusammensetzten.

Haben Ludwig/Walkenhorst noch ungenutztes Potenzial?

Sportlich kann ich das nicht beurteilen, wenn ich aber Jürgen Wagner richtig verstehe, haben sie ihre Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft. Aus Sicht der Sportpsychologin wäre der nächste Schritt, dass sie alle ihre erfolgreichen Verhaltensweisen zu jeder Zeit abrufen können, sie diese verinnerlichen. Das würde zu einer noch größeren Stabilität ihrer Leistungen führen.