Düsseldorf. Mit seinem 121. Länderspiel beendet Kapitän Bastian Schweinsteiger seine Karriere in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Termine wie jenen hat Bastian Schweinsteiger nie sonderlich gemocht. In Düsseldorf hat sich die Fußball-Nationalmannschaft in diesen Tagen eingefunden und in ein hübsches Haus mit gläserner Fassade eingeladen. Schweinsteiger hat schon lange kein Interesse mehr an einer gläsernen Fassade. Über ihn sollen die Leute nicht immer alles wissen. Aber er lächelt. Lächelt das Lächeln eines Mannes, der mit sich im Reinen ist, während die Fotografen ihre Kameras klicken lassen.

Da sitzt er, der Mann, der nun sein letztes Spiel für die Nationalmannschaft bestreiten wird. Mittwochabend (20.45 Uhr / ZDF live) in Mönchengladbach gegen Finnland. Dann ist Schluss. Wehmut? Traurigkeit, weil endet, was bis hinauf in höchste Höhen trug? „Als kleiner Junge träumt man davon, Weltmeister zu werden, Kapitän der Nationalmannschaft zu sein. Das macht mich glücklich, und ich freue mich einfach nur auf dieses Spiel“, sagt er. Und: „Mal sehen, wie sich das neue Leben anfühlt.“

Schweinsteiger geht. Das ist eine Nachricht, die in jedem Land der Welt interessiert. Zu lange und zu sehr prägte er das DFB-Spiel. Zwölf Jahre und bislang 120 Spiele. Menschen in Südafrika tragen Schweinsteiger-Trikots, Menschen in Brasilien tragen Schweinsteiger-Trikots, Menschen in der Ukraine tragen Schweinsteiger-Trikots. Der Name ist längst um die Welt gegangen. Mit ihm verschwindet mehr als ein Fußballer, verschwindet ein Botschafter. Einer, den die Leute mit dem Alter immer mehr mochten, weil er es verstand, sich gegen Widerstände durchzusetzen.

2004 waren die nicht in Sicht, als der damals 19-Jährige im Juni bei der 0:2-Niederlage gegen Ungarn für Deutschland debütierte. Da war er der „Schweini“, die blondierte gute Laune, dem mit Lukas Podolski kein Spaß zu unlustig schien, als dass er nicht gemacht werden konnte. Das war die Zeit, als er als Jung-Profi des FC Bayern München eines Nachts zwar ohne Podolski, dafür aber in weiblicher Begleitung auf dem Vereinsgelände auftauchte. Genauer: im Whirlpool. Das von Alarmanlagen in Gang gesetzte Sicherheitspersonal beendete den unerlaubten Ausflug jäh. Damals galt er aufgrund seines Talents als Versprechen für den deutschen Fußball, doch den Beweis blieb er im entscheidenden Moment häufig schuldig. Mit der Nationalmannschaft? Scheiterte er vier Turniere lang stets kurz vor dem großen Coup. Mit den Bayern? Gewann er Meisterschaft um Meisterschaft, aber in der Champions League blieb ihm der Triumph verwehrt. Sogar im eigenen Münchner Stadion, 2012 gegen Chelsea. Er verschoss im Elfmeterschießen.

In Rio stieg er in den Fußball-Olymp auf

Der Tag danach, sagt Schweinsteiger heute, sei der einzige, an dem ihm die Liebe zum Fußball ganz kurz ein wenig abhanden kam. Da war er geboren, der Schweinsteiger, der nie einen großen internationalen Titel gewinnen würde. Ein leeres Versprechen. Ein Guter, aber kein Großer.

Die sich mehrenden Verletzungen führten dazu, dass mancher begann, nicht mehr zu sehr an ihn zu glauben. Und tatsächlich konnte die Fußball-Republik dem Mittelfeldstrategen in den vergangenen drei, vier Jahren scheinbar beim Altern zusehen. 30 war er gerade mal, aber irgendwie doch unglaublich alt, fast gebrechlich. Als die Zweifel längst offen formuliert wurden, pinselte er das Gold auf seine Karriere. Cham­pions-League-Sieg 2013 und vor allem Weltmeister 2014. In Rio stieg er in den Olymp des deutschen Fußballs auf.

Die Argentinier schlugen und traten ihn, aber er stand immer wieder auf. Blut rann aus einer Wunde unter dem Auge. Weltmeisterlich. Heroisch. Die Zweifel? Pulverisiert. Aber das war nie sein Antrieb, sagt er. Das waren die Fans. „Es war immer meine Motivation, so eine Fanmeilen-Stimmung zu schaffen wie 2006.“ Ihnen brachte er den goldenen Pokal nach beinahe einem Vierteljahrhundert des Wartens mit.

Vielleicht hätte er damals aufhören sollen, so wie seine Wegbegleiter Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose. Aber er wollte noch den EM-Pokal – der ihm versagt blieb. Nach dem Turnier heiratete er die serbische Tennisspielerin Anna Ivanovic. Das private Glück hat er gefunden, an das berufliche glaubt er noch, aber es ist ungewiss.

2015 wechselte er zu Manchester United, wo ihn der neue Trainer José Mourinho nun nicht braucht. Aussortiert, für zu schlecht befunden. Schweinsteiger will weiter spielen, am liebsten für United, seinen Traumclub, den er als Kind verehrte, weil dort Eric Cantona spielte. Die Verehrung endete nie. Weil der Name Schweinsteiger in München zu bekannt ist, schützte sich der damalige Bayern-Star in seiner Dachgeschosswohnung in der Innenstadt mit dem Klingelschild „Cantona“ vor ungebetenen Gästen. „Mein Traum wäre, für United zu spielen. Wenn ich eine faire Chance bekomme, glaube ich daran. Ich habe im EM-Halbfinale in einer Mannschaft gestanden, die Weltmeister ist“, argumentiert Schweinsteiger, „ich glaube an meine Fähigkeiten.“

Ihn zeichnet aus, dass er das immer getan hat, auch wenn andere damit aufhörten. „Trotz der Situation geht es mir gut. Ich bin reifer geworden. Das Fußballgeschäft hat nicht nur Höhen. Und damit konnte ich immer umgehen.“ Wenn sich in Manchester nichts verändert, ist Amerika eine Option, sagt er, Europa nicht mehr. Ein, zwei Jahre traut er sich mindestens noch zu.

Dann hören die Kameras auf zu surren, die Fotoapparate auf zu klicken. Der 32-Jährige verlässt seinen letzten Pressetermin als Nationalspieler. Jenseits der gläsernen Fassade wird er von ein paar Fans aufgehalten. Erwachsene Menschen, die den Nationalmannschaftskapitän förmlich umschwärmen. Eine Szene, die ahnen lässt, was Schweinsteiger den Menschen in diesem Land gegeben hat.