Hamburg. Die drei Niederlagen zum Saisonauftakt der Zweiten Liga haben die aktuellen Defizite der Mannschaft schonungslos aufgedeckt

Im Pressekonferenzraum des Dresdner DDV-Stadions warf Ewald Lienen einen kurzen Blick auf den Bildschirm schräg rechts über ihm. Eingeblendet war dort die Videotextseite mit der aktuellen Zweitligatabelle, die den FC St. Pauli nach drei Spieltagen weiter als Tabellenletzten und einziges Team ohne Punktgewinn ausweist. „Das sieht nicht gut aus“, entfuhr es Lienen. Vor einem Jahr noch hatte es St. Paulis Cheftrainer regelmäßig strikt abgelehnt, zu so einem frühen Zeitpunkt der Saison den Tabellenstand zur Kenntnis zu nehmen oder gar zu kommentieren.

Damals stand sein Team nach dem dritten Spieltag auf dem dritten Platz, hatte sieben Punkte auf dem Konto und noch kein Spiel verloren. Die aktuelle Lage ist völlig anders, sodass es durchaus geboten ist, die Tabelle im Blick zu behalten. Noch wichtiger ist allerdings, sich vor Augen zu führen, wie es für den FC St. Pauli überhaupt zu diesem Fehlstart in die Saison kommen konnte. Fünf Faktoren spielen eine entscheidende Rolle. Im Einzelnen sind dies:

Transfers: Der FC St. Pauli verlor in den Mittelfeldspielern Marc Rzatkowski und Sebastian Maier sowie Stürmer Lennart Thy Stammspieler, die in den vergangenen Jahren tragende Figuren waren. Der vermeintlich torgefährlichere Aziz Bouhaddouz ersetzte Thy mindestens gleichwertig, noch wird er aber von seinen Kollegen zu selten so eingesetzt, dass er seine Stärken zum Tragen bringen kann, wie bei seinem Tor in Stuttgart. Bei Rzatkowski war den Verantwortlichen klar, dass er nur mit einem für St. Pauli nicht leistbaren finanziellen Aufwand auf Anhieb gleichwertig zu ersetzen ist. Der zweikampfstarke Christopher Buchtmann soll und kann in diese Rolle hineinwachsen, noch aber fehlt es ihm an Rzatkowskis Torgefahr. Die weiteren Zugänge hatten wie Marvin Ducksch und Cenk Sahin mit Verletzungen zu kämpfen, andere wie Vegar Eggen Hedenstad sind mit den Automatismen des Teams noch nicht vollständig vertraut.

Verletzungen: In den weitaus meisten Spielen der erfolgreichen vergangenen Saison bildeten Marc Hornschuh, Lasse Sobiech, Philipp Ziereis und Daniel Buballa die Abwehr-Viererkette und waren mit Torwart Robin Himmelmann dafür verantwortlich, dass es in 16 von 34 Spielen kein Gegentor gab. Jetzt warfen immer wieder Ausfälle dieses lange Zeit so stabile Gebilde durcheinander. Aber auch Trainer Lienen trug einen Teil dazu bei, indem er als Rechtsverteidiger auf Neuzugang Hedenstad statt auf Hornschuh setzte.

Saisonvorbereitung: Der Preis, sich in den Wochen vor Saisonbeginn mit etlichen höherklassigen Teams zu messen war hoch, wahrscheinlich zu hoch. Es setzte dabei trotz zum Teil guter Leistungen vor dem Saisonstart gleich fünf Niederlagen, was mehr als gedacht am Selbstvertrauen kratzte.

Mentalität: Im Zuge der vom Trainerteam angestrebten Weiterentwicklung zu höherer spielerischer Qualität hat das Team mehr und mehr seine defensive Stärke und damit das Erfolgsrezept seit Lienens Amtsantritt im Dezember 2014 aufgegeben. Die Folge ist, dass die Mannschaft wieder anfällig für Gegentore ist, ohne aber vorn an Torgefährlichkeit dazugewonnen zu haben. Hier muss wieder die Mentalität Einzug halten, in erster Linie den Gegner am Spielen und Toreschießen zu hindern, statt zu glauben, man könne durch anspruchsvolles Kombinationsspiel zum Erfolg kommen. Bedenklich ist, dass die Mannschaft durch die unglückliche 1:2-Auftaktniederlage in Stuttgart offenbar psychisch in ein Loch gefallen ist, wovon auch die erfahrenen Spieler betroffen sind, die eigentlich die jüngeren führen und aufbauen sollten.

Auftaktprogramm: Bereits nach Bekanntgabe des Spielplans war klar, dass St. Pauli mit den Partien in Stuttgart, gegen Braunschweig und bei Aufsteiger Dresden ein ambitioniertes Programm zum Auftakt vor der Brust hat. Fatal ist nur, dass angesichts der Null-Punkte-Bilanz der Druck des Siegenmüssen gegen einen vermeintlich leichteren Gegner wie Arminia Bielefeld immens groß geworden ist und mithin die Gefahr des Verkrampfens besteht.

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