Zwickau/Hamburg. Nach dem Erstrundenaus im vergangenen Jahr in Jena will der HSV Ähnliches in Zwickau tunlichst vermeiden

Marcel Bär hat zu tun, als das Telefon klingelt. Kistenschleppen. Das alte Spind ausräumen, das neue Spind einräumen. Vom alten Mannschafsquartier neben dem Westsachsenstadion geht es hin und her in die neue Heimat nach Zwickau-Eckersbach. „Unser neues Stadion ist gerade noch rechtzeitig zum Pokalhit gegen den HSV fertig geworden“, sagt Bär, der selbstverständlich „unser“ sagt, wenn er über den FSV spricht.

Erwähnenswert ist das deswegen, weil der gebürtige Gifhorner erst in diesem Sommer aus Thüringen nach Sachsen gewechselt ist. In der vergangenen Saison spielte Bär noch bei Carl Zeiss Jena in der Regionalliga, ehe er im Sommer eine Liga höher in die Dritte Liga wechselte und – wie es der Zufall nun mal so will – im DFB-Pokal an diesem Montag (18.30 Uhr) auf den gleichen Gegner wie in der vergangenen Saison mit Jena trifft: auf den HSV.

„Bei der Auslosung musste ich schmunzeln“, sagt Bär, der das mutmaßliche Glückslos zunächst gar nicht glauben konnte. „Wieder der HSV?“, hätte er während der Fernsehübertragung der Auslosung gefragt. Wieder der HSV, den er und Jena in der ersten Runde des DFB-Pokals vor genau einem Jahr mit 3:2 nach Verlängerung rausgeworfen hatten? Wieder der HSV!

Im weit entfernten Hamburg hat man natürlich ebenfalls mitbekommen, dass beim Drittliga-Aufsteiger dieser 1,84 Meter große Bär unter Vertrag steht, der dem HSV nur allzu gerne auch in diesem Jahr den Pflichtspielauftakt verderben möchte. Doch wirklich beunruhigt scheinen die HSV-Profis am Sonntagmittag kurz vor dem Abflug ins sächsische Altenburg allerdings nicht. „Ich bin ein echter Pokalfan“, sagt Trainer Bruno Labbadia, den der immerwährende Kampf zwischen David und Goliath auch weiterhin fasziniert, obwohl es in der Pokalgeschichte aus Tradition immer wieder gerne den HSV-Goliath in Runde eins getroffen hatte. Eppingen, Geislingen, Paderborn, Oberhausen, die Stuttgarter Kickers und zuletzt eben Carl Zeiss Jena. Die Liste der Hamburger Blamagen ist lang – und dummerweise auch ziemlich aktuell. Gleich viermal schied der HSV in den vergangenen zehn Jahren im Pokal gegen unterklassige Clubs aus.

„Natürlich rechnen wir uns auch diesmal wieder etwas aus“, sagt Bär, der die Sensation mit Jena und die anschließende Pokalnacht auf dem Marktplatz der Studentenstadt noch bestens in Erinnerung hat. „Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen“, sagt der 24 Jahre alte Fußballer.

Auch Labbadia hat das Spiel in Thüringen nicht vergessen. Wochenlang hatte er versucht, nach dem Fast-Abstieg in Karlsruhe Stimmung für einen Neuanfang zu machen. Dieser wurde dann innerhalb von nur 120 Minuten Makulatur. „Die Niederlage in Jena hat sehr weh getan“, sagt der Fußballlehrer, der diesmal nichts dem Zufall überlassen will. Gleich mehrfach ließ er Gegner Zwickau beobachten, Ecken und Freistöße wurden in dieser Woche einstudiert und auch beim Abschlusstraining kurz vor dem Abflug am Sonntagmittag machte Labbadia erst nach anderthalb Stunden Schluss.

„In Zwickau herrscht nach dem Aufstieg und mit dem neuen Stadion eine große Euphorie“, sagt Labbadia, der als Trainer schon zweimal ins DFB-Pokalfinale eingezogen ist. „Natürlich müssen wir den FSV Ernst nehmen.“

Bis auf den am Sprunggelenk verletzten Albin Ekdal und Rekonvaleszent Lewis Holtby kann Labbadia an diesem Montagabend aus den Vollen schöpfen. Auch Emir Spahic, der seinen Bruch der Augenhöhle auskuriert hat, ist in der nigelnagelneuen Arena in Zwickau dabei, soll aber zunächst nur auf der Bank Platz nehmen. „Jetzt müssen wir liefern“, sagt Labbadia, der ganz genau weiß, dass der Anflug von Euphorie vor dem Saisonstart durch ein einziges Spiel vorbei sein kann.

„Genau das ist ja das Besondere am Pokal“, sagt Marcel Bär, dessen ganze Familie auch an diesem Montagabend wieder im Stadion sein wird. „Auf dem Papier haben wir als Drittligaclub keine Chance. Aber genau diese Chance wollen wir nutzen.“

Spricht man hier mit Labbadia und dort mit Marcel Bär, dann dauert es nicht lange, bis beide die gefühlt älteste aller Fußballfloskeln bemühen: „Der Pokal hat seine eigenen Gesetzte“, sagt Bär. Und auch Labbadia greift in die Phrasenkiste: „Es ist doch wirklich so: Der Pokal hat seine eigenen Gesetze.“

Diese gilt es an diesem Abend aus Hamburger Sicht zu brechen. Bereits seit einer Woche probt Labbadia den Ernstfall, ließ in den vergangenen Tagen immer wieder die gleiche A-Elf Spielzüge einstudieren. Die ausgefallenen Holtby und Ekdal werden durch Aaron Hunt und Gideon Jung ersetzt, hinter der Spitze soll Michael Gregoritsch auflaufen. Und ganz vorne darf sich Bobby Wood die besten Chancen ausrechnen, der neben 14-Millionen-Euro-Mann Filip Kostic der einzige Neuzugang ist, der von Anfang an spielen wird. „Im vorderen Bereich sind wir flexibler geworden“, sagt Labbadia.

Aber auch Zwickau hat sich für die Drittligasaison verstärkt. Neben Bär wurden noch acht weitere Fußballer verpflichtet. Das Durchschnittsalter aller Neuzugänge: 24 Jahre. Die Kosten für alle Neuzugänge: null Euro.

„Die gleichen Diskussionen haben wir aber auch schon vor einem Jahr geführt“, sagt Bär, der hofft, zumindest eingewechselt zu werden. Ob er denn noch eine Erinnerungsstück von der Jena-Sensation aufgehoben hat? „Nö“, sagt er. So ein Typ sei er nicht. Aber das könne er ja in diesem Jahr nachholen.