Rio de Janeiro. Viel Lob für die deutschen Fußball-Herren trotz der Niederlage im Endspiel gegen Brasilien – Neymar gibt seinem Land den Stolz zurück

Nach dem Schuss ins Glück, der einer ganzen Nation ein großes Stück Selbstwertgefühl zurückgab, sank der Held des Abends auf die Knie. Torwart Weverton war der erste Gratulant, doch Neymar schien seine Worte nicht wahrzunehmen. Tränen der Erleichterung weinte Brasiliens Superstar, der im Elfmeterschießen des olympischen Fußballfinales gegen Deutschland zum entscheidenden 6:5 getroffen und dem Gastgeberland damit zum so sehr herbeigesehnten goldigen Abschluss der Spiele verholfen hatte.

„Das ist einer der größten Momente in meinem Leben“, sagte der Torjäger des spanischen Topclubs FC Barcelona, als er die Goldmedaille um den Hals hängen hatte, und wer hätte ihm das nicht abgenommen? Immerhin hatte der 24-Jährige nicht nur als fünfter Schütze seines Teams Verantwortung übernommen, nachdem nach zuvor je vier verwandelten Elfmetern der Freiburger Angreifer Nils Petersen an Weverton gescheitert war. Der Kapitän der Brasilianer hatte seiner Mannschaft mit einem wunderschön verwandelten direkten Freistoß in der 26. Minute auch zur Führung verholfen. Er war Wegbereiter und Vollstrecker in einer Person, und das veranlasste ihn, am Ende eines denkwürdigen Abends noch seine Kritiker zu beschimpfen. „Jetzt müssen sie alle ihre Worte fressen“, sagte er.

Nach dem zähen Start in die Gruppenspiele mit zwei Nullnummern gegen Südafrika und Brasilien hatte der Volkszorn die „Seleção“ mit voller Wucht überrollt. Die Zuschauer im Stadion riefen nach Marta, der Topspielerin des Frauenteams, und Experten wie Altstar Zico luden ihren Frust auf Neymar ab, der „nicht geeignet“ dafür sei, eine Mannschaft als Kapitän zu führen. Doch mit dem 4:0 im letzten Gruppenspiel war die Mannschaft von Cheftrainer Rogerio Micale im Turnier, sie kassierte im Viertelfinale gegen Kolumbien (2:0) und im Halbfinale gegen Honduras (6:0) keinen Gegentreffer. Erst Schalkes Max Meyer schaffte es mit seinem Ausgleichstor in der 59. Minute des Endspiels, Weverton das erste Mal überhaupt zu überwinden.

Nie zuvor hatte Brasilien bei Olympischen Spielen das Fußballturnier gewinnen können. Ein schier unglaublicher Fakt angesichts der fünf Titel, die der Rekordchampion bei Weltmeis­terschaften gesammelt hat. Und dennoch rückte die Statistik in den Hintergrund angesichts des Finalgegners. Jeder sportinteressierte Brasilianer erinnerte sich in den vergangenen Tagen zurück an die 1:7-Halbfinalpleite gegen Deutschland bei der Heim-WM vor zwei Jahren. Die Schmach von Belo Horizonte, die die einstige Fußball-Großmacht in ihrem Glauben an die eigene Stärke tief erschüttert hatte, war allgegenwärtig, und wer die Explosion der Emotionen erlebte, als 78.000 Zuschauer im Maracaña-Stadion Neymars Tore feierten, der konnte ermessen, welch eine Last von einer ganzen Nation abgefallen sein musste.

„Ich bin sicher, dass dieser Sieg das brasilianische Volk stolz macht und ihm das Vertrauen in den Fußball zurückbringt. Wir wussten, wie viel Verantwortung wir angesichts des Stellenwerts, den unser Sport im Land hat, zu tragen hatten. Aber wir haben das gut gemeistert“, sagte Nationaltrainer Micale. Und tatsächlich war Brasilien über weite Strecken eines zwar weder taktisch noch technisch auf höchstem Niveau vorgetragenen, aber sehr intensiven und spannenden Endspiels das spielbestimmende Team gewesen.

Angetrieben von einem Neymar, der es mit Alleingängen bisweilen übertrieb, dessen nicht nur wegen seines tätowierten Halses auffälligen Sturmpartners Luan (Gremio Porto Alegre) und dem Mittelfeldmotor Walace (Gremio). Der vom Hamburger SV umworbene 1,88-Meter-Mann zeigte sich als pass­sicherer Ballverteiler und Taktgeber.

Die besseren Torchancen indes hatte die deutsche Mannschaft, die in der ersten Halbzeit durch einen Fernschuss von Leverkusens Julian Brandt, eine abgefälschte Freistoßflanke Meyers und einen Kopfball von Dortmunds Sven Bender dreimal die Latte traf.

„Der Fußballgott war heute wieder Brasilianer“, sagte Torhüter Weverton. Sein deutscher Gegenpart Timo Horn hatte ebenfalls das Glück als wichtigsten Begleiter der Brasilianer ausgemacht. „Wir haben ein Riesenspiel gemacht, sind aber leider nicht belohnt worden“, sagte der Kölner Keeper, der bei keinem der fünf Elfmeter auch nur in die Nähe des Balls gekommen war.

Auch wenn im ersten Moment die Silbermedaille, das erste Edelmetall seit Bronze 1988 in Seoul und das beste Resultat eines deutschen Männerfußballteams bei Olympia überhaupt, eine Enttäuschung darstellte, könne die Mannschaft stolz sein auf ihre Leistung, wie Kapitän Meyer, der als sechster Elfmeterschütze vorgesehen war, sagte: „Dafür, dass wir vor dem Turnier nur einmal miteinander trainieren konnten, war das eine sensationelle Leistung!“ Einer der ersten Gratulanten war Joachim Löw: Silber sei ein „riesiger Erfolg, zu dem man nur gratulieren kann“.

Der Mann, der diese Leistung zu verantworten hatte, konnte schon kurz nach Spielende wieder strahlen. Cheftrainer Horst Hrubesch („Wir haben Silber gewonnen, aber es fühlt sich an wie Gold“), der mit seinen 65 Jahren das letzte Turnier absolvierte, wurde von seinen Spielern mit Superlativen bedacht. „Er ist wie ein Vater, jeder fühlt sich bei ihm gut aufgehoben“, sagte Meyer. „Er ist ein Mensch, wie man ihn nur selten trifft“, sagte Brandt. Hrubesch erklärte, er habe die drei Wochen mit dem Team sehr genossen. „Es hat riesigen Spaß gemacht“, sagte er und bekräftigte, in Zukunft keine Mannschaft mehr trainieren zu wollen.

DFB-Präsident Reinhard Grindel erklärte, man werde das Gespräch mit dem gebürtigen Essener und einstigen HSV-Idol suchen. „Wie er das Team zu diesem Erfolg geführt hat, kann sich sehen lassen. Die Jungs können alle stolz sein“, sagte er. Allzu große Trauer über das verpasste Gold sei unangebracht. Für die Brasilianer sei dieses Finale entscheidend für die Bewertung ihrer „Heimspiele“ gewesen, „insofern gönne ich ihnen den Titel“, sagte Grindel, „aber wir sind noch Weltmeister!“