Rio de Janeiro. Für Ex-Zehnkämpfer Frank Busemann ist Ashton Eaton der König der Athleten. Kritik an leeren Stadien

Vor 20 Jahren gewann Frank Busemann bei den Olympischen Spielen in Atlanta sensationell die Silbermedaille im Zehnkampf. Mit seinen starken Leistungen und durch seine lockere Art zog er ganz Deutschland zwei Tage lang in seinen Bann. Der Sportler des Jahres 1996 arbeitet heute als freier Unternehmer, hält Vorträge und ist in Rio de Janeiro Leichtathletik-Experte der ARD. Der 41-jährige Recklinghäuser, der in Dortmund lebt, spricht darüber, ob Sprinter Usain Bolt oder Ashton Eaton der König der Leichtathletik ist, warum die deutschen Leichtathleten wie am Donnerstag Kugelstoßer David Storl sowie die Speerwerferinnen hinter den Erwartungen bleiben und warum er seinen Kindern das Rauchen und Saufen durchgehen lassen würde, aber niemals das Dopen im Sport.

Herr Busemann,

wie ordnen Sie die Spiele von Rio ein?

Frank Busemann: Über Sydney 2000 geht gar nichts. London 2012 ist nahe herangekommen. Hier in Rio ist kein richtiges olympisches Flair aufgekommen. Das Olympiastadion mit der Leichtathletik war weit vom Olympiapark entfernt und im Gesamtbild völlig isoliert. Da fehlt dann diese besondere Leichtigkeit der Spiele.

Und die Tribünen im Olympiastadion waren oft ziemlich leer.

Das ist ein Desaster. Wenn morgens bei den Vorläufen schon das Stadion voll besetzt ist, das macht doch Olympia aus. Bei den Fans sind die Spiele hier nicht angekommen.

Die Preise waren auch ziemlich hoch.

Ich habe das Glück, seit 20 Jahren keinen Eintritt zahlen zu müssen. Im Ernst, das ist natürlich ein großes Problem. Hier verdienen viele Leute nicht so viel, um sich das leisten zu können. Meine Frau musste schon in Sydney für zwei Tage Zehnkampf 800 Mark bezahlen.

Wie haben Sie die Zehnkampf-Entscheidung am Donnerstag erlebt?

Kai Kazmirek war ein Knaller. Auf den Punkt fit, Bestleistung. Schade, dass er nur Vierter geworden ist. Der Franzose Kevin Mayer war riesig, hat Ashton Eaton das Siegen schwer gemacht. Im ersten Moment sagt man, war ganz solide von Eaton. Aber das ist Quatsch. Das war olympischer Rekord. Er ist so ein Über-Athlet, der uns mit seinen Vorstellungen verwöhnt hat, dass man seine Leistungen schon für normal hält.

Wer ist der wahre König der Athleten, Zehnkämpfer Ashton Eaton oder Sprintstar Usain Bolt?

Als Zehnkämpfer sage ich Ashton Eaton. Bolt kann nur geradeaus laufen und meint, er könne auch bei Manchester United Fußball spielen. Man kann einen Zehnkämpfer schlecht mit einem Sprinter vergleichen. Für Bolt kommen 56.000 Zuschauer ins Stadion. Viel mehr geht nicht. Bolt ist noch eine Nummer größer als Eaton.

Die deutschen Leichtathleten spielen in Rio fast nur eine Statistenrolle. Was sind die Gründe für das insgesamt unerwartet schlechte Abschneiden?

Das ist schwer zu sagen. Sie sind nicht voll da, irgendwie nicht richtig wach. Vielleicht war die Anreise zu spät. Vielleicht hätten sie sich hier schon etwas länger vorbereiten sollen.

Wirft das die deutsche Leichtathletik wieder zurück?

Klar. Es ging uns zuletzt ja richtig gut. Nach dem Tiefpunkt 2008 in Peking kam der erste Aufschwung bei der Weltmeisterschaft 2009 in Berlin, dann folgten die acht Medaillen vor vier Jahren in London. Es ist vieles richtig gemacht geworden. Man hat junge Leute eingebaut und den Sportlern auch langfristig vertraut. Auch bei Verletzungen. Jetzt muss man eine Fehleranalyse starten, um die richtigen Schlüsse für Tokio 2020 zu ziehen.

Fehlen vielleicht Typen wie einst Frank Bu­semann?

Das will ich so nicht sagen. Wir haben sie ja. Ein David Storl ist nur im ersten Moment ein zurückgezogener Teddybär. Man kann richtig Spaß mit ihm haben. Und Robert Harting ist der Usain Bolt der deutschen Leichtathletik. Leider hat es bei beiden diesmal nicht richtig geklappt.

Und was sagen Sie zu Christoph Harting?

Überragende Leistung, aber sein Verhalten kann ich nicht nachvollziehen. Wahrscheinlich, weil ich ein ganz anderer Typ bin. Ich habe keine Ahnung, ob er nur unsicher ist, oder ob er schauspielert. Jedenfalls wirkt er nicht authentisch auf mich. Sponsoren findet man mit dieser Art nur schwer.

Gehen die Sommerspiele von Rio de Janeiro als die Dopingspiele in die olympische Geschichte ein?

Doping gab es schon immer. Siehe Ben Johnson 1988. Der Ausschluss der russischen Leichtathleten ist eine neue Dimension, aber auch ein Signal, dass der Leichtathletik-Weltverband ein Interesse hat, etwas zu ändern. Ich hasse Doping. Meine Kinder können später saufen oder rauchen, aber dopen? Das geht gar nicht.

Denken Sie noch oft an die Tage von Atlanta zurück?

Klar, dieser Erfolg hat mein Leben bestimmt. Ich werde auf der Straße ja nicht erkannt, weil ich drei Kinder habe oder zwei Einkaufstaschen gleichzeitig schleppen kann, sondern wegen dieses Zehnkampfs in Atlanta. Ich erschrecke mich nur, dass es schon 20 Jahre her sein soll. Im Spiegel sehe ich immer noch diesen Typen von 1996. Dann ein schneller Schritt zur Seite, ein Stöhnen, und ich bin wieder im richtigen Leben.

Sie waren zweimal als Sportler und viermal als TV-Experte bei Olympischen Spielen. Was war für Sie der bewegendste Moment in Rio?

Wie Andreas Toba mit seiner Verletzung weitergeturnt hat, das hat mir imponiert. Er hat sich für die Mannschaft aufgeopfert, wollte seinen olympischen Traum nicht platzen lassen. In diesem Moment will man es nicht wahrhaben, dass es eigentlich nicht mehr geht. Aber bewegt hat mich auch Julia Fischer, wie sie nach ihrem neunten Platz im Diskuswerfen geweint hat. So schnell können vier Jahre Arbeit den Bach runtergehen. Das war heftig. Ich kann ihren Schmerz nachempfinden.