Rio den Janeiro. Die Zwischenbilanz der deutschen Leichtathleten ist ernüchternd. Aber es gibt noch eine ganze Reihe von Medaillenkandidaten

Nun also auch Nadine Müller und Julia Fischer: Ausgerechnet die Topstars der deutschen Leichtathletik sorgen bei den Olympischen Spielen für eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Die Plätze sechs und neun im Diskusfinale für die WM-Dritte Müller und Vizeeuropameisterin Fischer setzten den Trend nahtlos fort: Qualifikations-Aus für Robert Harting und Raphael Holzdeppe, Platz sechs für Christina Schwanitz, Rang vier für Betty Heidler – die Erfolgsgaranten des vergangenen Jahrzehnts sind am Zuckerhut abgestürzt.

„Man könnte auf den ersten Blick sagen, dass der Generationswechsel beginnt. Aber das trifft nur zum Teil zu“, sagte Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV). „Wie bei Robert Harting spielen auch Verletzungen eine Rolle. Es ist teils individuelles Pech, kein strukturelles Problem.“ Und dennoch: Die beiden bisherigen deutschen Medaillen gewannen Sportler aus der vermeintlich zweiten Reihe. Diskus-Gold für Christoph Harting war nicht unbedingt, -Bronze für Daniel Jasinski überhaupt nicht zu erwarten.

Der Hexenschuss von Robert Har­ting verhinderte am Auftakttag einen Angriff auf Gold. Weltmeisterin Schwanitz war in der Kugelentscheidung einfach schlecht. Und am Dienstag lieferten Müller und Fischer einen Diskus-Wettkampf zum Vergessen ab.

Der frühere Stab-Weltmeister Holzdeppe, der trotz vieler Verletzungsprobleme um die Medaillen mitspringen wollte, dann aber in der Qualifikation ausschied, hat ein Wahrnehmungsproblem im Hinblick auf seine augenblickliche Leistungsfähigkeit. Und die frühere Hammer-Weltmeisterin Heidler, die unglückliche Vierte wurde, scheiterte wieder mal an den Nerven. „Bettys verpasste Medaille tut mir in der Seele weh“, sagte Prokop.

Das Thema Generationswechsel wird zunehmend akut, nur Holzdeppe und Fischer gehören aus dem zurechtgestutzten Star-Sextett mit 26 Jahren noch zur jüngeren Garde. Harting (31) wird wohl bis zur EM 2018 in Berlin weitermachen, Schwanitz (30) liebäugelt noch mit Olympia 2020 – wenn der geschundene Körper mitspielt. Für Heidler (32) war Rio der internationale Karriereabschluss, Müller (30) erreicht den Herbst ihrer Laufbahn.

„Es kommen neue Namen nach, schon hier in Rio“, sagte Prokop. Vor allem im Frauensprint: Gina Lückenkemper (19) beispielsweise, die in Amsterdam EM-Dritte wurde und am Montag den olympischen Vorlauf über 200 Meter ebenso überstand wie Lisa May­er (20). Oder auch Konstanze Klosterhalfen (19), die sich am Sonntag im Halbfinale über 1500 Meter teuer verkaufte. Und auch wenn er in Rio in der Qualifikation scheiterte, ist der erst 20-jährige Dreispringer Max Hess ein Versprechen für die Zukunft.

Und noch hofft der DLV ja auf einige Medaillen. Vom zweimaligen Kugelstoßweltmeister David Storl etwa, der am Donnerstag im Einsatz ist. Oder von den Speerwerferinnen Christina Obergföll, Linda Stahl und Christin Hussong, die alle ebenso Medaillenchancen haben wie ihre männlichen Kollegen Julian Röhler, der die Weltjahresbestenliste anführt, Johannes Vetter und Julian Weber. Und auch die Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch, die in diesem Jahr erstmals die Zwei-Meter-Marke knackte, und die Weitspringerinnen Alexandra Wester, Malaika Mihambo und Sosthene Moguenara sind nicht chancenlos.

Auch am Dienstag gab es zumindest einige Lichtblicke bei den deutschen Athleten. So sind alle drei Hürden-Sprinterinnen ins Halbfinale eingezogen, in dem Europameisterin Cindy Roleder die besten Chancen haben dürfte. Und immerhin zwei Stabhochspringerinnen (Lisa Ryzih und Martina Strutz) haben sich fürs Finale der besten zwölf qualifiziert.

Das Finale der Männer war in der Nacht zu Dienstag zu einem denkwürdigen Spektakel geworden. Dreieinhalb Stunden hatten die Stabartisten um die Medaillen gekämpft. Erst sorgten sintflutartige Regenfälle für eine lange Unterbrechung, dann gab es Probleme mit der Anlage. Und schließlich die große Sensation: Thiago Braz da Silva versetzte die brasilianischen Fans in einen Freudentaumel, als er seinen Körper elegant über die auf 6,03 Meter gelegte Latte schlängelte. Noch nie war ein Stabhochsprung-Olympiasieger besser. Auch nicht Renaud Lavillenie, der die bisherige Höchstmarke 2012 mit 5,97 Metern aufgestellt hatte. Da nutzte es dem 29 Jahre alten Franzosen auch nichts, dass er sich diesmal noch einen Zentimeter höher über die Latte schraubte. In dieser Nacht war der 22-jährige Brasilianer, der sich in diesem Wettkampf um elf Zentimeter steigerte, zu gut und vor allem zu cool für „Air France“ Lavillenie, der anschließend Nerven zeigte. Das lautstarke Buhen und Pfiffe gegen ihn hatte Lavillenie noch eine Stunde nach dem Wettkampf nicht verdaut. „Ich habe den Brasilianern nichts getan. 1936 in Berlin war die Menge gegen Jesse Owens. Wir müssen uns damit beschäftigen“, sagte Lavillenie: „Das war kein Fair Play.“

Sein Vergleich aber war falsch: 1936 hatten die Zuschauer Jesse Owens, sehr zum Ärger der Nazi-Führung, zugejubelt. Einige Stunden nach seinem verpatzten Vergleich entschuldigte sich Lavillenie: „Das war ein großer Fehler von mir. Es waren meine ersten Worte nach dem Wettkampf, aus der Emotion heraus.“