Rio de Janeiro. Die beiden Hamburger Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst haben ihren Olympia-Auftritt in Rio vier Jahre lang geplant

Rainer Grünberg

Der raue Wind hatte aus der Night Session im Stahlrohrmonster an der Copacabana eine ungemütliche Angelegenheit gemacht. Laura Ludwig und Kira Walkenhorst war dennoch warm ums Herz. Kurz vor 22 Uhr Ortszeit war es am Donnerstagabend, als sich Deutschlands beste Beachvolleyballerinnen den ersten Rang in der Vorrundengruppe D sicherten. 21:18, 18:21 und 15:9 rangen die gebürtige Berlinerin Ludwig und ihre in Essen geborene Partnerin Walkenhorst die Italienerinnen Marta Menegatti und Laura Giombini nieder. Es war der dritte Sieg im dritten Spiel, der den Europameisterinnen im Achtelfinale am Sonnabend (20 Uhr MESZ/ZDF) ein Duell mit den EM-Fünften Isabelle Forrer (34) und Anouk Vergé-Depré (24) beschert. In der bisher letzten Begegnung gegen die Schweizerinnen siegte das HSV-Duo vor zwei Wochen in Klagenfurt (Österreich) nach Abwehr von fünf Matchbällen mit 2:1 (21:19, 10:21, 20:18)-Sätzen. Die Hamburgerinnen gewannen anschließend das Major-Turnier recht souverän.

Für Ludwig ist die bislang makellose Olympiabilanz Grund genug, ihrer Erleichterung Ausdruck zu verleihen. „Auch wenn uns viele als Medaillenkandidaten sehen, muss man erst mal Leistung bringen. Ich bin sehr glücklich, dass wir nun die Chance haben, weitere Matches in diesem großartigen Stadion zu erleben“, sagt die 30-Jährige, die die Zeit in Rio sichtlich genießt. Brasilien ist so etwas wie die Heimat des Herzens für die derzeit beste Abwehrspielerin der Welt. Sie, die vor Jahren einen brasilianischen Beachvolleyballer liebte, schätzt die Lebensfreude der Einheimischen, ihre Art, Probleme bewusst zu verniedlichen und damit kleiner zu machen, als sie vermutlich sind.

„Mit Laura in Brasilien zu sein, das ist schon beeindruckend. Gefühlt ist jeder zweite hier ihr Freund“, sagt Kira Walkenhorst. Die 25-Jährige ist die In­trovertierte im Team. Sie braucht mehr Zeit, um mit Menschen warm zu werden, reißt die Fans auf dem 12.000 Zuschauer fassenden Centre-Court aber mit ihrem spektakulären Blocks nicht weniger mit. Auch sie genießt die Atmosphäre, die dem in Brasilien immens populären Strandspiel zuteil wird: „Wir haben ja schon einige Turniere und Trainingslager in Brasilien absolviert. Aber Olympia in diesem Umfeld, das ist etwas ganz Besonderes.“

Die geschäftliche Beziehung begann vor vier Jahren

Das olympische Beachvolleyball-Turnier ist für Ludwig/Walkenhorst der Abschluss ihres Projektes, das sie vor vier Jahren starteten. „Nach Rio wird abgerechnet“, hatten sie im Oktober 2012 gesagt, „alles, was wir vorher machen, ist Vorbereitung auf Olympia.“

Walkenhorst war die Wunschkandidatin Ludwigs, als ihre Partnerin Sara Goller (heute Niedrig) nach Platz fünf bei den Spielen in London nach neun gemeinsamen Jahren aufhörte. Eine gute Blockerin sollte die Neue sein, jung, groß, motiviert, ambitioniert, sie sollte eine sportliche Perspektive haben – so lautete Ludwigs Anforderungsprofil an die nächste Frau an ihrer Seite.

Walkenhorst, U-23-Europameisterin, geriet trotz zwei Kreuzbandrissen schnell in die nähere Auswahl, weil sie alle Kriterien erfüllte. In der Beachvolleyballszene wurde im Sommer 2012 längst über den Partnertausch getuschelt, als Ludwigs Trennung von Goller noch nicht vollzogen war. Erst Anfang September erfolgte der Anruf, auf den Walkenhorst zwei Monate lang gehofft hatte. „Ich habe sofort Ja gesagt. Die Chance, mit solch einer Weltklassespielerin zusammenarbeiten zu dürfen, lässt man sich nicht entgehen.“

Ludwig/Walkenhorst pflegten von Anfang an bewusst eine betont rationale Partnerschaft. „Das klingt jetzt etwas unromantisch“, sagte Ludwig damals im Abendblatt-Interview, „doch wir betreiben bei allem Spaß, den wir hoffentlich haben werden, auch eine geschäftliche Beziehung. Grundlage dieser sind nun mal die sportlichen Fähigkeiten. Alles andere wird sich ergeben.“

Das Unternehmen Ludwig/Walkenhorst musste zu Beginn die eine oder andere Gewinnwarnung herausgeben. Im Frühsommer 2014 erkrankte Walkenhorst am Pfeiffer-Drüsenfieber. Sie konnte kaum Treppen steigen, geschweige denn Sport treiben. Die Karriere schien in Gefahr. Erst im Mai vergangenen Jahres kehrte sie nach einer Meniskusoperation an die Seite Ludwigs zurück. Die nächste Krise folgte kurz danach. Bei den Weltmeisterschaften 2015 in den Niederlanden belegte das Paar einen enttäuschenden 17. Platz.

„Wir wussten nicht mehr, woran es noch lag. Wir waren gesund, doch irgendwie funktionierte es nicht. Wir mussten über uns nachdenken, uns infrage stellen, das gesamte Puzzle noch mal neu zusammensetzen“, sagte Ludwig. Das half. Fortan standen Ludwig/Walkenhorst für Erfolg. Bis heute gewannen sie sieben Grand-Slam- oder Major-Turniere auf der Welttour, mehr als jedes andere deutsche Duo, wurden zweimal Europameister und führen die Weltrangliste seit sechs Wochen an. Allein in den vergangenen drei Monaten verdienten sie rund 280.000 Euro Preisgeld, hinzu kommen Werbeverträge in fast ähnlicher Höhe.

Die beiden traten damit den Beweis an, dass sich in Deutschland Weltklasseleistungen auch abseits des Fußballs rechnen – wenn Strukturen und Management (Vitesse Kärcher GmbH aus Fellbach bei Stuttgart) entsprechend professionell sind. Um Cheftrainer Jürgen „Wanne“ Wagner (Bochum), der 2012 Julius Brink/Jonas Reckermann zum Olympiasieg führte, entstand am Hamburger Olympiastützpunkt in Dulsberg auf einer der modernsten Beachvolleyballanlagen der Welt ein Team um das Team, das alle physischen und psychischen Facetten des Leistungssports abdeckt. Eine effektive Insellösung, die kein Fachverband mit seinem schwerfälligen Apparat bieten kann. Eine zen­trale Rolle spielt dabei die Sportpsychologin Anett Szigeti, die seit zwei Jahren mit dem Team arbeitet, viele Gespräche mit beiden, aber auch zahlreiche Einzelgespräche führt.

Für ihre Betreuer mieteten sie ein Appartement in Rio an

Für Walkenhorst war das Zusammenspiel mit Ludwig neben der sportlichen zunächst eine charakterliche Herausforderung. Sie setzte sich unter Druck, wollte liefern, was sie anfangs nicht zu liefern imstande war. Für Niederlagen fühlte sich oft sie, die Unerfahrene, verantwortlich, erst langsam emanzipierte sie sich als jene gleichberechtigte Spielpartnerin, die Ludwig stets in ihr sah – ohne die gemeinsamer Erfolg unmöglich wäre. Walkenhorst reifte nicht nur zu einer Weltklassespielerin, auch zu einer Persönlichkeit, die jetzt am Netz einschüchterndes Selbstvertrauen verströmt. „Wir sind als Team in diesem Jahr noch mal gewachsen“, sagt Ludwig, „wir unterstützen uns gegenseitig, vertrauen uns, die Absprachen klappen. Wir wissen, was die andere in welcher Situation denkt. Das ist ein Traum.“

Ihren Auftritt in Rio plante das Team bis ins Detail. Auf eigene Kosten mieteten Ludwig/Walkenhorst ein Appartement an der Copacabana für Szigeti und Physiotherapeut Jochen Dirksmeyer (Paderborn) an, der schon Brink/Reckermann zu Gold knetete. Neben Wagner ist auch Hamburgs Landestrainerin Helke Claasen vor Ort. Alle zusammen vermitteln den Spielerinnen ein Gefühl der Stärke, dass es ihnen an nichts fehlen wird. Eine Garantie auf eine Medaille ist das natürlich nicht. „Sechs Teams spielen auf demselben hohen Niveau, eines davon sind wir. Und fünf dieser sechs werden nicht Olympiasieger“, sagt Ludwig „Es ist am Ende immer alles Kopfsache. Insofern tut es gut, wenn unser Team uns den Kopf frei für Beachvolleyball hält.“