Rio De Janeiro. Nach dem Aus von Serena Williams ist Tennisprofi Angelique Kerber die Topfavoritin auf den Olympiasieg

Vom Centre-Court, auf dem sich Serena Williams und Elina Svitolina duellierten, waren in schöner Regelmäßigkeit laute Jubelschreie des Publikums zu hören. Angelique Kerber stand währenddessen in der Mixed Zone unterhalb des großen Tennisstadions, im Hintergrund brummte ein Generator, der die meist leise auftretende Weltranglistenzweite fast übertönte. Sie hatte ihr Achtelfinalmatch beim olympischen Turnier gerade überzeugend mit 6:0 und 7:5 gegen die Aus­tralierin Sam Stosur gewonnen, und nun wollten die Medienvertreter von der deutschen Nummer eins wissen, welchen Ausgang sie sich denn wünsche für das Abendmatch auf dem Centre-Court.

„Mir ist das eigentlich völlig egal. Es ist gut mit Serena, aber es geht auch ohne sie“, sagte die 28 Jahre alte Kielerin, und es hätte in diesem Moment keine Antwort geben können, die das neue Selbstverständnis der Australian-Open-Siegerin und Wimbledonfinalistin von 2016 besser hätte widerspiegeln können. Wer so gleichgültig reagiert auf die Frage, ob ihm ein Ausscheiden der weltbesten Spielerin auf dem Weg zum erträumten Olympiagold in die Karten spielen würde, der ruht nicht nur in sich, sondern der glaubt an die eigene Stärke.

Nun, Angelique Kerber muss (oder darf) in Rio ab jetzt ohne ihre ärgste Widersacherin auskommen. Serena Williams, Branchenführerin aus den Vereinigten Staaten von Amerika, gegen die Kerber in Melbourne triumphiert und in Wimbledon verloren hatte, musste sich der Ukrainerin Svitolina am späten Dienstagabend mit 4:6 und 3:6 geschlagen geben. „Natürlich ist das eine große Enttäuschung“, sagte die Olympiasiegerin von London im Einzel und Doppel (an der Seite ihrer Schwester Venus), „ich hätte gern auch in Rio Gold geholt. Aber die Bessere hat heute gewonnen.“

Wie groß ihre Chance auf Edelmetall nach dem Aus der Topfavoritin ist, darüber wollte Kerber nicht mutmaßen. Sie verbrachte den stürmischen und regnerischen Mittwoch statt mit Tennis in den Katakomben der Arena mit „Stadt, Land, Fluss“. Eigentlich sollte sie ihr Viertelfinale gegen die Britin Johanna Konta (Nr. 10) bestreiten, aber die Witterung verzögerte den Spielbeginn immer weiter. Stundenlang – bis die Partie schließlich auf diesen Donnerstag verschoben wurde.

„Ich bin sehr gut damit gefahren, hier von Spiel zu Spiel zu denken. Wenn ich den Fokus von der nächsten Aufgabe weg lenke, weil ich an eine Medaille denke, verliere ich die Konzentration, und das kann ich mir hier gegen keine Gegnerin erlauben“, sagte sie. Auch Bundestrainerin Barbara Rittner mahnte zur Vorsicht. „Hier ist jedes Match schwer, alle sind hoch motiviert. Angie hat bislang sehr überzeugend gespielt, aber es ist noch ein weiter Weg bis zu einer Medaille.“

Das mag stimmen, dennoch schien die Chance, die erste deutsche Medaille im Dameneinzel seit Steffi Grafs Silbergewinn 1992 in Barcelona zu erkämpfen, angesichts des ausgedünnten Teilnehmerfeldes so groß wie lange nicht. Wer Kerber in den ersten Runden, beim 6:3, 7:5-Auftaktsieg über Mariana Duque-Marino aus Kolumbien oder beim klaren 6:4, 6:2-Zweitrundenerfolg über Kanadas Jungstar Eugenie Bouchard, zuschaute, der sah eine gereifte Persönlichkeit.

Kerber hat gelernt, sich aus Schwächeperioden souverän zu befreien und von der Grundlinie so druckvoll zu spielen, dass sie nicht einmal überragend auftrumpfen muss, um gegen eine Topspielerin wie Stosur einen Satz 6:0 zu gewinnen. „Das Match war sicher enger, als es das Ergebnis aussagt“, relativierte Kerber zwar. Aber solche Matches gewinnt eben, wer das Zeug hat zu Grand-Slam-Titeln oder zum Olympiasieg.

Dass sie diesen unbedingt will, nachdem in London vor vier Jahren die Weißrussin Viktoria Asarenka im Viertelfinale Endstation war, daran hat Angelique Kerber in Rio keinen Zweifel gelassen. Der enge Spielplan, der nur am Freitag, dem Tag vor dem Endspiel, eine Ruhepause vorsieht, verhindert zwar, dass sie zum Olympiatouristen wird. „Natürlich ist das etwas schade, dass ich mir keine anderen Sportarten anschauen kann“, sagte sie, „aber ich bin hier, um mein Tennis durchzuziehen.“

Das Leben im Athletendorf nehme sie sehr bewusst wahr, gerade weil es einen scharfen Kontrast bietet zu den Annehmlichkeiten, die eine Grand-Slam-Siegerin auf der WTA-Tour genießt. „Es ist schon speziell hier“, sagte sie, „aber das ist ja das Besondere an Olympia, und deshalb bin ich hier.“ Deshalb,und auch dafür, am Sonnabend im Finale selbst für die Jubelschreie auf dem Centre-Court zu sorgen.