Rio de Janeiro. Michael Phelps gewinnt seine Goldmedaillen 20 und 21, Katie Ledecky und die Ungarin Katinka Hosszu schreiben Geschichte bei den Frauen

Nachdem sich Michael Phelps in der Nacht zum Mittwoch sein 20. olympisches Gold für seinen Triumph über 200 Meter Schmetterling abgeholt hatte, stieg er mit leichtem Schritt die Treppen zur Zuschauertribüne hoch, küsste seine Verlobte Nicole Johnson, herzte seine Mutter Deborah und ließ sich dann Söhnchen Boomer Robert in seine großen Hände geben.

Der 31-jährige Phelps drückte Boomer mit seinen Chlorlippen einen Kuss auf die Wange und präsentierte den drei Monate alten Säugling der ganzen Welt wie einen Pokal. „Ich wollte ihn länger halten. Es war gut, dass er wach war, normalerweise schläft er die ganze Zeit“, sagte Phelps. Die Kameras klickten und klickten. Solche Bilder will Amerika von seinem Olympiahelden sehen, dessen Geschichte sich durch seinen Alkohol-Entzug noch besser verkaufen lässt. Boomer ist jetzt das jüngste, aber umso wichtigere Teil dieser Geschichte. Es bleibt zu hoffen, dass der kleine Mann, der sich an jedem Abend wie im Zoo vorführen lassen muss, bei all dem tobenden Geschrei zu mitternächtlicher Zeit in der Halle später nicht unter Schlafstörungen leiden wird. Vielleicht sollte sich Phelps von seinem Trainer, dem ausgebildeten Kinderpsychologen Bob Bowman, mal nicht nur die Feinheiten seiner Schmetterling-Technik, sondern die frühkindlichen Auswirkungen auf das weitere Leben erklären lassen.

Eine knappe Stunde nach seinem für ihn wichtigen Erfolg über 200 Meter Schmetterling – dieses Finale hatte er vor vier Jahren gegen den Südafrikaner Chad le Clos verloren, es war damals die erste Niederlage auf dieser Strecke nach zehn Jahren – sprang Phelps für die lange Freistilstaffel der USA schon wieder ins Becken und später aufs oberste Podium. Mit nun 21 Olympiasiegen ist Phelps der unersättlichste Goldsammler der Geschichte, und es ist kein Ende in Sicht, weil er auch noch über 200 Meter Lagen, 100 Meter Schmetterling und in der Lagenstaffel startet. Boomer wird noch einige Vorführungen in Rio über sich ergehen lassen müssen.

Aber auch ein Michael Phelps ist nachts um halb zwei einfach nur eines: furchtbar müde. Nach seinen zwei weiteren Olympiasiegen gab er bei der Fragerunde im voll gepackten Presseraum zu: „Sorry, ich bin so fertig, ich kann nicht mal richtig denken. Ich will jetzt nur noch schlafen.“

Aber es gibt noch andere Goldschürfer in Rio, Phelps ist nur der prominenteste. Die Ungarin Katinka Hosszu hat schon dreimal in Rio gewonnen und die US-Amerikanerin Katie Ledecky zweimal, doch die erst 19-Jährige aus Washington ist noch längst nicht am Ende ihrer Rio-Mission. Auch über 800 Meter Freistil und in der US-Freistilstaffel über viermal 200 Meter geht sie als Favoritin ins Becken.

Katie Ledecky ist der Gegenentwurf zu Phelps

Ledecky ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Phelps, sie ist ein Anti-Star. Skandale wie bei Phelps? Alkoholexzesse oder Pokersitzungen? Undenkbar. Blass im Auftreten, bleich im Gesicht. Unauffällig auffällig. Auch ihr Körperbau total normal. Natürlich will Amerika nicht diesen 08/15-Stoff, Geschichten zum Träumen sind gewünscht. Und so ist jetzt ein Foto in den sozialen Medien aufgetaucht, wie sich die neunjährige Ledecky ein Autogramm von Michael Phelps auf ein Poster schreiben lässt.

Mental ist sie so stark wie kaum eine andere. Für Chuck Wielgus, Direktor des Schwimmteams USA, ist klar, wer Phelps als Schwimm-Ikone beerben wird: „Die Sportgeschichte wird sich irgendwann einteilen lassen in die Zeit vor ihr und nach ihr“, sagte er und fügte pathetisch hinzu: „Wir sollten uns glücklich schätzen, in der Ledecky-Ära leben zu dürfen.“

Ledecky liefert sich in Rio ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Katinka Hosszu um den inoffiziellen Titel der Schwimmkönigin von Rio. 3:2 führt die Ungarin im Moment bei den Olympiasiegen. Die 27-Jährige lebt in den USA mit ihrem Mann und Trainer Shane Tusup. Weil sie so viel trainiert wie sonst niemand, weil sie so oft startet wie keine andere, nennt sie sich selbst „Iron Lady“, die eiserne Lady. Das kommt an in den USA.

Mit der Vermarktung in ihrer Wahlheimat hat die Ungarin jedoch Probleme. Das liegt weniger an ihr als an ihrem extrovertierten Mann, der mit seinem rüpelhaften Auftreten ein ums andere Mal schon aneckte. So bestätigten mehrere Ohrenzeugen der „New York Times“, wie Tusup nach einem verpatzten Meeting im April Hosszu zuraunte, sie solle doch im ­Becken bleiben und ertrinken. Wenig später küsste und umarmte er sie. Boomer und Katinka, sie haben es nicht leicht.