Rio de Janeiro. Martin Kaymer kann nicht verstehen, warum die besten Profis das größte Sportfest der Welt ignorieren

Da sitzt er nun also auf dem Podium, ein Vertreter dieser vermeintlich elitären und verwöhnten Sportler, und berichtet über seine ersten Olympia-Erfahrungen. Golfspieler – sind das nicht die millionenschweren Profis, die behaupten, wegen der Gefahren des Zika-Virus nicht nach Rio zu kommen? Denen die Spiele aber in Wahrheit „zu belanglos“ sind, wie es der nordirische Star Rory McIlroy schließlich doch noch ehrlich formulierte? Kopfschüttelnd sagt Martin Kaymer (31) dazu: „Für mich ist es ganz schwer zu verstehen, warum jemand beim größten Sportfest der Welt nicht dabei sein will.“ Der beste deutsche Golfprofi schiebt gleich hinterher: „Ich bin schon seit vergangener Woche hier. Ich habe alles richtig gemacht.“

Sein Wettkampf beginnt zwar erst am Donnerstag, aber so kann er Athleten aus anderen Sportarten kennenlernen. Und er konnte die Eröffnungsfeier erleben, die ihn sehr berührt hat. „Beeindruckend, plötzlich stehst du in einem Team aus 250 Weltklasseathleten. Dann stimmen sie die Hymne an. Da steckt so viel Kraft dahinter.“ Und er ist zum ersten Mal mittendrin. „Da kamen mir die Tränen.“ Während er das erzählt, stockt ihm die Stimme.

112 Jahre gehörte Golf nicht mehr zum olympischen Programm. Und die Nachrichten, die vor der Rückkehr in Rio liefen, waren alles andere als Werbung dafür, dass die Sport-Millionäre auch zukünftig zur Familie zählen sollten. Der Weltranglistenerste Jason Day aus Australien zeigte dem Turnier ebenso die kalte Schulter wie andere Stars, neben McIlroy auch US-Open-Champion Dustin Johnson oder Jordan Spieth (beide USA). Das sind die Top Vier der Welt. Peter Dawson, Präsident des Golf-Weltverbandes IGF, der lange um die Chance für seine Sportart gekämpft hatte, äußerte sich enttäuscht: „Ich bin der Meinung, dass es eine Überreaktion zur Zika-Situation gibt.“

Ob Golf auch in Zukunft olympisch bleibt, ist offen

Ebenfalls in der Kritik stand die Entstehung der extra für die Spiele errichteten Anlage im reichen Stadtteil Barra. Sie wurde mitten in das Landschaftsschutzgebiet Marapendi gebaut. Umweltschutzorganisationen liefen Sturm dagegen, aber ohne Erfolg. Auch Berichte über Korruption der beteiligten Baufirmen konnten die Fertigstellung nicht stoppen. Am Donnerstag gehen 60 Männer auf die Bahnen, nächste Woche folgen die Frauen. Ob Golf eine olympische Zukunft hat, das hat IOC-Präsident Thomas Bach nach dem Verzicht der Stars noch nicht konkret beantwortet. Für seine Verhältnisse wurde er aber indirekt sehr direkt: „Eines der wichtigsten Kriterien der Bewertung ist natürlich die Frage, ob die besten Spieler dabei sind.“

In jedem Fall dabei ist der beste Olympiabotschafter, den die Golfer sich wünschen können. Fröhlich erzählt Martin Kaymer, US-Open-Sieger von 2014, wie er anderen Sportlern im olympischen Dorf begegnet ist, das er „selbstverständlich“ bezogen hat. „Im Fitnessraum habe ich Rugbyspieler beim Training getroffen und mich beim Anblick ihrer Körper gefragt, was ich eigentlich trainiert habe.“ Zum zweiten Mal wurde er von ihnen in der Mensa verblüfft: „Die bekommen tatsächlich vier oder fünf Teller auf ein Tablett, wo nur zwei drauf passen.“

Die Enge im Dorf stören den Millionär nicht – im Gegenteil. „Für uns Golfer ist es natürlich komplett anders“, sagt er, „aber es ist alles da, was wir wirklich brauchen.“ Er empfinde es wie eine Rückkehr zur Basis seiner Freude am Sport. „Ich habe doch nicht mit Golf angefangen, weil ich an Geld gedacht habe. Ich wollte Spaß haben, den ganzen Tag draußen in der Natur sein. Darum ging es.“

Angesichts der vielen Topathleten, die weniger populärere Disziplinen ausüben und von ihrem Sport nicht leben können, sieht Kaymer seine Sportart auch kritisch im Umfeld der Spiele, aber nicht nur diese. Ohne Fußball oder Tennis beim Namen zu nennen, „viele Sportarten sollten nicht unbedingt zu den Spielen gehören. Aber wenn doch, dann auch Golf“, sagt er. Man könne lange darüber diskutieren, aber auch im Golf Werte wie Respekt, Ehrlichkeit, Disziplin und Leidenschaft vermittelt werden.

Erst eine Testrunde hat er auf dem Golfplatz in Barra absolviert, die ersten Eindrücke waren gut. Auf seine Chancen angesprochen, die ja beim Fehlen der Top Vier in der Welt gut stehen könnten, äußert sich Kaymer zurückhaltend. „Ich glaube von den 60 Teilnehmern sind 35 bis 40 in der Lage, Medaillen zu holen. Es geht sehr eng zu in der Weltspitze.“ Zu den Favoriten zählen für ihn der Ire Padraig Harrington und der Engländer Justin Rose.

Die Vorstellung, dass er selbst eine Medaille holen könnte, möchte er sich aber gar nicht ausmalen. „Ich werde mein Bestes geben. Wenn ich daran denke, wie mir schon bei der Eröffnungsfeier die Tränen gelaufen sind – wie sollte das denn erst sein, wenn ich da oben auf dem Podest stehe?“