Berlin. Olympiasiegerin Britta Steffen über Wege aus der Krise, Doping und die Entbehrungen des Leistungssports

Mit ihren beiden Olympiasiegen über 50 und 100 Meter Freistil sorgte Britta Steffen 2008 in Peking für die letzten Goldmedaillen der deutschen Schwimmer. 2013 beendete die Berlinerin ihre Karriere. Im Rahmen des Legendenprogramms von Adidas verfolgt die 32-Jährige nun erstmals Olympia als Zuschauerin live vor Ort.

Frau Steffen, 2012 erlebten die deutschen Schwimmer ohne Medaillengewinn einen Tiefpunkt bei Olympia. Wem trauen Sie jetzt einen Erfolg oder gar eine Medaille zu?

Britta Steffen: Mit Marco Koch, Paul Biedermann und Franziska Hentke haben wir drei Topathleten, die etwas Großes in Rio erreichen können. Es kann aber auch sein, dass sie trotz Bestzeiten nur Vierter oder Fünfter werden. Aber dann ist die Tendenz, die sich abzeichnet, immerhin schon eine bessere als bei den Spielen 2012.

Was muss passieren, damit der deutsche Schwimmsport wieder Weltspitze ist?

Wir müssen in Deutschland die Strukturen schaffen oder erfinden – und uns dabei an anderen Ländern orientieren, die erfolgreich sind wie die USA. Dort steht die Bildung im Vordergrund, Schwimmer können Stipendien erwerben. Das gibt es in Deutschland nicht. Viele Nationen tun viel für den Leistungssport, in Deutschland ist das zu wenig. Es gibt den Fußball und den anderen Sport. Und der andere Sport muss gucken, wie er klarkommt. Es herrscht hierzulande mangelnde Anerkennung für die olympische Kernsportart Schwimmen. Aber wenn es dann bei Olympia wieder nicht mit Medaillen klappt, meckern wieder alle.

Das klingt dramatisch.

Fakt ist, die Erfolge von Franziska Hentke, Marco Koch und auch Paul Biedermann sind absolute Insel-Produkte. Jeder von ihnen hat sich mit viel persönlichem Einsatz ein eigenes Umfeld geschaffen, ist dadurch jetzt Weltklasse.

Ist Leistungsschwimmen noch zeitgemäß?

Weltweit ja, denn es gibt ja viele Topschwimmer. Die Frage ist, wollen wir das in Deutschland in Zukunft auch? Wir haben hier Talente, aber sie erfahren auch viel Ablenkung. Viele wollen lieber Computer spielen, als dreimal pro Woche zum Training zu gehen. Wenn wir in Deutschland Leistungssport haben wollen, müssen wir Anreize schaffen. Wie zum Beispiel Bildungsausgleich. Nur dann funktioniert das. Als Topsportler musst du die Aussicht haben, später in einen guten Job zu kommen.

Stimmt Sie die aktuelle Schwimm-Situation in Deutschland traurig?

Mir ist wichtig, dass Kinder sich bewegen. Das liegt mir mittlerweile mehr am Herzen als der Leistungssport. Er bringt zwar viel Gutes, aber auch viele Entbehrungen. Wie auf Konzerte zu gehen oder die Nacht mit Freunden im Zelt zu verbringen. Deshalb sage ich, kein Mensch muss Leistungssport machen. Wenn man es will, ist es eine riesige Bereicherung und eine spannende Erfahrung. Aber man verpasst eben auch viel. Wie ein Jahr Auslandserfahrung oder mal in Ruhe eine Sprache zu lernen. Im Studium musste ich doch feststellen, dass meine Kommilitonen das coolere Leben hatten.

Anreize motivieren aber auch zu Doping. Wie beurteilen Sie die IOC-Entscheidung, Russland trotz Staatsdopings nicht komplett von den Rio-Spielen auszuschließen?

Eine Kollektivstrafe hätte ich nicht gutgeheißen. Zumal es ja bei anderen Nationen auch mehrere Athleten gibt, die nachweislich gedopt haben. Die jetzige Lösung, dass jene, die klar nachweisen können, dass sie sauber sind, in Rio starten dürfen, finde ich richtig. Generell wäre ich dafür, dass jeder, der einmal des Dopings überführt wird, lebenslang gesperrt werden sollte. Es muss beim Missbrauch eine so starke Strafe drohen, dass Sportler abgeschreckt werden. Was hat das denn für eine Wirkung auf junge Sportler, wenn sie erleben, dass Dopingsünder nach gewisser Zeit wieder starten dürfen? Das ist fatal für den ganzen Sport.

Freuen Sie sich trotz des Dopingschattens auf die Wettkämpfe?

Auf jeden Fall. Für mich ist jeder Athlet erst einmal sauber, da gilt die Unschuldsvermutung. Wenn ich anders herangehen würde, hätte ich keinen Spaß mehr.