Rio de Janeiro. Andreas Toba sorgt für den ersten Gänsehautmoment und turnt trotz Kreuzbandrisses weiter fürs Teamfinale

Es gibt Momente, die einen Sportler unsterblich machen. Manchmal müssen diese Momente nicht zwangsläufig ein Olympiasieg oder ein anderer großer Sporttriumph sein. Manchmal reicht es, wenn man über Grenzen hinausgeht, die eigentlich nicht zu überschreiten sind.

Andreas Toba hat am ersten Tag der olympischen Turnwettbewerbe so etwas erlebt und für einen ersten Gänsehautmoment gesorgt. Und er tat weh, sehr weh. Aber er hat dem deutschen Team nach einem dramatischen Wettkampf den schon fast aus den Augen verloren gegangenen achten Platz und damit den Einzug in das Teamfinale heute (21 Uhr) gerettet.

Was war geschehen? Andreas Toba, der deutsche Meister im Mehrkampf, landete bei einem Sprung seiner Bodenübung unglücklich. Ein spitzer Schrei – Toba lag auf der Matte und konnte weder weiterturnen noch aufstehen. „Auf einmal hat es gekracht“, beschrieb der Hannoveraner später den Moment. „Ich konnte das Bein einfach nicht mehr halten.“ Teamarzt Hans-Peter Boschert eilte zu ihm, half ihm auf und machte die wichtigsten Funktionstests. Die Erstdiagnose Kreuzbandriss bestätigte sich, und bei der späteren genauen Untersuchung stellte sich zusätzlich ein Riss des Meniskus heraus.

Eigentlich hätte Toba sofort den Wettkampf beenden müssen. Wenn da nicht das Problem gewesen wäre, dass dann das Team seine Chancen auf das Finale hätte begraben müssen. Fabian Hambüchen konnte nicht einspringen, weil er gerade erst eine Schulterverletzung halbwegs auskuriert hat und so überhaupt in Rio an drei Geräten der Mannschaft helfen konnte.

Toba signalisierte Trainer Andreas Hirsch, dass er ans Pferd gehen wollte. „Ich war nicht tapfer. Ich habe geheult wie ein Schuljunge“, sagte Toba. „Aber als ich auf der Pritsche lag, ging mir durch den Kopf: Du musst dem Team helfen. Und das habe ich getan, trotz der irren Schmerzen.“ Also humpelte er ans Gerät – und legte eine tadellose Übung hin, die bei Weitem beste der deutschen Turner an ihrem Problemgerät. Direkt nach seinem gestandenen Abgang brach er mit verzerrtem Gesicht zusammen. Die Tränen ließen sich nicht mehr stoppen. Bis dahin hatte das Adrenalin wie Doping gewirkt, hatte die Schmerzen so weit wie möglich unterdrückt.

Alle Teamkollegen gingen zu ihm, halfen ihm zurück auf die Bank, trösteten ihn und beglückwünschten ihn gleichzeitig zu diesem sportlichen Heldenakt. Der Deutsche Olympische Sportbund ernannte Toba (25) auf Twitter zum „Hero de Janeiro“.

Der 25-Jährige erlebte nach Angaben seines Vaters, früher selbst Turner, eine qualvolle Nacht. „Er hat gar nicht geschlafen. Sobald er das Knie bewegt hat, waren es höllische Schmerzen“, sagte Marius Toba dem „sid“. Er stehe in ständigem Kontakt mit seinem Sohn, der beim Telefonat „natürlich geweint hat. Er war in Topform und dachte, dass diese Spiele seine Spiele werden würden.“ Andreas Toba kündigte an, auch im Finale auszuhelfen. Doch das schlossen die Mediziner aus.

„Ich ziehe den Hut vor Andy“, sagte Hambüchen. „Das hätte nicht jeder getan und kein anderer geschafft. Ich wäre gern eingesprungen, aber mit meiner Schulter geht es einfach nicht.“ Am Reck ist Hambüchen jedoch fast schon wieder so stark wie zu seinen besten Tagen, als er 2007 Weltmeister wurde und zweimal in Folge Medaillen bei Olympia gewann: 2008 Bronze, 2012 Silber. Vielleicht ist sogar Gold drin: Mit einer starken Vorstellung zog der 28-Jährige als Erster ins Finale ein.

Die anderen deutschen Kandidaten auf eine Finalteilnahme gingen leer aus. Andreas Bretschneider musste bei der nach ihm benannten Höchstschwierigkeit am Reck ebenso vom Gerät wie Marcel Nguyen. Der zweimalige Silbergewinner von 2012 verpasste dann noch als Elfter das Barrenfinale.

Der Wettbewerb war zwischenzeitlich unterbrochen worden, weil der Franzose Samir Ait Said am Sprung fürchterlich gestürzt war. Bei der Landung kam er so unglücklich auf, dass sein Unterschenkel danach im 90-Grad-Winkel abknickte. Diagnose: Schienbeinbruch.

Die deutschen Turnerinnen stehen derweil ganz dicht vor dem ersten Einzug in ein Teamfinale bei Olympischen Spielen. „Es war ein cooler Wettkampf. Wir sind ein hammergeiles Team“, sagte Kim Bui nach 16 starken Übungen mit nur einem Patzer in der Qualifikation. Nach dem dritten von fünf Durchgängen rangieren die Deutschen mit 171,263 Punkten auf Rang fünf. In Führung liegt China vor Russland.