Mein liebstes Märchen war immer „Schneeweißchen und Rosenrot“. Aber beim Einzug in das Mediendorf Barra 3, das, rund 15 Busminuten vom Olympiazentrum im Stadtteil Barra da Tijuca entfernt, inmitten von mit Regenwald üppig bewachsenen Hügeln gebaut wurde, fühlte ich mich wie einst Schneewittchen. „Wer hat in meinem Bettchen geschlafen?“, so lautete die Frage, die mein Mitbewohner und ich an unsere charmant, aber hilflos lächelnde Rezeptionistin richten mussten.

Nicht nur, dass die Decken in unserem zwölf Quadratmeter kleinen Doppelzimmer zerwühlt waren, nein: Auch das Badezimmer, das zu unserer exklusiven Nutzung bestimmt sein sollte, wies deutliche, nicht auf zivilisiertes Verhalten hinweisende Spuren auf. Im Klartext: Jemand, der ebenso wie wir angenommen haben musste, das Apartment nicht mit weiteren Olympia-Handlungsreisenden teilen zu müssen, hatte sich in unserem Refugium breitgemacht.

Als der erste Schock verdaut war, zeigte sich in beeindruckender Weise das, was man den Brasilianern als große Fähigkeit nachsagt: Improvisationskunst. Die der englischen Sprache mächtige Rezeptionistin tippte auf ihrem Mobiltelefon, bellte ein paar Anweisungen hinein, denen im Handumdrehen eine Armada aus vier Reinmachefrauen Folge leistete. Koffer und Kleiderständer des Eindringlings wurden in das zweite Doppelzimmer verfrachtet, Betten neu bezogen, das Bad gereinigt. Mit einem überlegenen Lächeln übergab die Rezeptionistin die Schlüssel zu unserem Reich.

Unsere neuen Nachbarn haben wir noch nicht kennengelernt. Wir sind aber sehr gespannt darauf, wie die Überraschung bei ihnen angekommen ist. Und darauf, ob unsere Koffer noch da liegen, wo wir sie hingelegt haben.