Hamburg. Der türkische Profi Ünsal Arik protestiert gegen den umstrittenen Staatschef seines Heimatlandes. Heute kämpft er in Hamburg.

Er wird es auch am Sonnabend wieder tragen, dieses T-Shirt, das ihm so viel Ärger eingebracht hat. „Das Land gehört Atatürk, nicht Erdogan“, steht darauf, und seit Ünsal Arik es zum ersten Mal übergestreift hatte im September 2013, als er im türkischen Tekirdag in den Ring stieg, ist sein Leben ein anderes geworden.

Es ist ja nicht so, dass dem Halbmittelgewichts-Boxprofi, der in der Sporthalle Hamburg gegen den Brasilianer Mike Miranda um die vakanten WM-Titel der unbedeutenden Weltverbände GBU und WBU kämpft, Brüche in seiner Biografie fremd wären. Der im bayerischen Parsberg geborene 35-Jährige wollte Fußballprofi werden, er spielte in der Jugend des Topclubs Fenerbahce Istanbul, als ein Schien- und Wadenbeinbruch seinen Traum beendete. 18 Jahre war er damals alt, die Operationsnarbe zieht sich über die gesamte linke Wade.

Die Narben auf der Seele brauchten länger, um zu verheilen. Eine Ausbildung zum Versicherungsfachmann schloss Arik ab, doch als er im Streit um den Unterhalt für seine zwei außerehelichen Kinder die Nerven verlor, glitt er 2008 in die Obdachlosigkeit ab. Ein Jahr lang lebte er in Berlin auf der Straße, nahm harte Drogen wie Speed und Crys­tal – und träumte trotzdem von einer Karriere als Rapper und Songwriter.

Die Wende kam, als er 2010 seine heutige Verlobte kennenlernte, eine Kasachin. „Ich war mittellos, aber sie ist bei mir geblieben. Ihre Liebe hat mich gerettet“, sagt er. Die Liebe – und das Boxen, das er zufällig auf einem Spaziergang in Regensburg entdeckte. „Ich bin an einem Gym vorbeigegangen und dachte: Das könnte ich mal probieren.“ Es war eine seiner fixen Ideen, „für mich gibt es niemals Wenn und Aber, sondern nur Entweder-oder“, sagt er. Also startete Ünsal Arik als 30-Jähriger seine Profikarriere. Er wurde Europameister, gewann 23 seiner bislang 25 Kämpfe, vor allem aber merkte er, dass das Boxen ihm Türen zu einer Popularität öffnete, die er nutzen wollte, um für seine Überzeugungen zu kämpfen.

Dass er sich mit der Kritik am türkischen Staatsoberhaupt Türen zuschlagen würde, damit hatte er gerechnet. Die Auswirkungen, die das T-Shirt auf sein Leben nahm, hätte er nicht für möglich gehalten. Arik erhielt Morddrohungen, wurde auf der Straße angespuckt, seine türkischen Sponsoren zogen sich alle zurück. Er ließ sich jedoch nicht einschüchtern und kehrte 2014 für einen Kampf nach Tekirdag zurück.

Aus Angst vor Verhaftung reist Arik nicht in die Türkei

Damals hatte er ein Erlebnis, das ihn endgültig aufwachen ließ. Ein Mitarbeiter Erdogans bot ihm 150.000 Dollar in bar, wenn er sich live im Fernsehen entschuldigen würde. „Da wurde mir klar, was für ein Mensch Erdogan wirklich ist“, sagt er. Das Angebot lehnte er ab. Mittlerweile reist er nicht mehr in die Heimat seiner Eltern, aus Angst, dass man ihn, den überzeugten Anhänger von Kemal Atatürk, Begründer der Republik Türkei, sofort verhaften würde.

Die Nachrichten aus der Türkei verfolgt Ünsal Arik mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Wut. Vor allem kann er nicht verstehen, „warum so viele meiner Landsleute in Deutschland, die hier die Demokratie und den Sozialstaat genießen, Erdogan unterstützen. Für mich ist er ein schlimmer Diktator.“ In Parsberg, wo sich Arik 2015 ins Goldene Buch eintrug, redet kein Türke mehr mit ihm. Dafür redet er, an Schulen oder in Talkrunden, und er engagiert sich sozial für die Stiftung Kinderherz.

Er selbst habe keine Angst vor Erdogans Rache. „Ich bin hier geboren und liebe Deutschland, aber ich bin Türke und kann nicht schweigen zu dem, was dort passiert“, sagt er. Sein Vater, gläubiger Moslem wie der Sohn, habe ihm beigebracht, Menschen unabhängig von Rasse und Religion zu achten – vor allem aber, seinen eigenen Weg zu gehen. Und das will er weiter tun.