Lausanne. Nach dem Urteil des Sportschiedsgerichts CAS wird ein kompletter Ausschluss für Rio wahrscheinlicher

Russland steht am Olympia-Abgrund. Die Bestätigung der Rio-Sperre der russischen Leichtathleten durch den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) in Lausanne ist eine Steilvorlage für das Internationale Olympische Komitee (IOC), die systematisch dopende Sportmacht komplett von den Sommerspielen in Brasilien (5. bis 21. August) zu verbannen. „Mit dem Cas-Urteil im Rücken hat das IOC eigentlich keine andere Möglichkeit“, sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. „Ich gehe davon aus, dass das IOC einen Ausschluss beschließen wird.“

Der Cas lehnte den Einspruch von 68 russischen Leichtathleten und des Nationalen Olympischen Komitees (ROC) gegen den Olympia-Ausschluss ab. Der Weltverband IAAF hatte den nationalen Verband am 13. November 2015 wegen umfassenden Dopings suspendiert und die Sperre für internationale Wettkämpfe am 17. Juni über die Spiele in Brasilien hinaus verlängert.

Die IAAF und deren Präsident Sebastian Coe begrüßten den Cas-Spruch, weil er „gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Sportler“ schaffe. Allerdings sei es „kein Tag für triumphale Verkündungen“, meinte Coe. „Ich bin nicht zur Leichtathletik gekommen, um Athleten von Wettkämpfen auszuschließen.“

Aus Moskau wurde das Urteil mit einer Mischung aus Augenmaß, Polemik und Zorn kommentiert. „Es bleibt dabei: Ein möglicher Boykott der Spiele wird nicht erwogen“, betonte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Nicht ohne diplomatischen Grund. Das IOC wollte das Cas-Urteil abwarten, um es in eine Entscheidung über einen Komplettausschluss Russlands einzubeziehen. Am Sonntag tagt das IOC-Exekutivkomitee, verkündet wird die Entscheidung noch am gleichen Tag oder am Montag. Es wäre der erste Ausschluss eines Landes von Olympia wegen nachgewiesenen systematischen Dopings. „Dieses beispiellose Urteil erniedrigt den gesamten Sport“, sagte Sportminister Witali Mutko. Die Entscheidung sei politisch motiviert, es werde über weitere Schritte nachgedacht. Stabhochsprung-Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa (34) reagierte böse auf den Bann: „Der Cas hat mit seinem Urteil die Leichtathletik im Grunde genommen begraben.“

Die IAAF hält allerdings die Tür zu Olympia für Sportler aus Russland offen, die nachweislich nicht in das Dopingsystem ihrer Heimat involviert waren. Bisher wurde zwei Athletinnen das Sonderstartrecht erteilt: 800-Meter-Läuferin Julia Stepanowa (30), Kronzeugin des umfassenden Sportbetrugs in ihrer Heimat, und Weitspringerin Darja Klischina (25), die in Florida lebt. Ob sie beide bei Olympia antreten werden, ist aber derzeit offen.

Das IOC will jetzt den Spruch des Cas genau prüfen. Der Cas unterstrich in seiner Mitteilung, dass das Urteil nicht einbezieht, „ob das IOC im Allgemeinen berechtigt ist, die Nominierung von russischen Leichtathleten durch das ROC für die Rio-Spiele anzunehmen oder abzulehnen“. Grundlage für die Entscheidung des IOC ist vor allem der Bericht des kanadischen Anwalts Richard McLaren, der im Auftrag der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) die Anschuldigungen untersucht hatte.

DOSB-Chef Hörmann hält Teilausschluss für möglich

Im 97-seitigen Wada-Report wurde nicht nur festgestellt, dass auf Anordnung staatlicher Behörden im Kontrolllabor bei den Winterspielen 2014 in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten vertauscht und verfälscht wurden. Zwischen 2012 und 2015 sind laut McLaren zudem mindestens 643 positive Proben russischer und ausländischer Sportler in rund 30 Sportarten aussortiert worden. Der McLaren-Report bietet für den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes aber auch die Möglichkeit eines Teilausschlusses. „Ich würde die 20 Sportarten, in denen man Russland systematisches Doping nachgewiesen hat, ausschließen“, sagte Alfons Hörmann. Im Bericht würden 20 der 28 Sommersportarten genannt, in denen es „zumindest einzelne klare Nachweise von Doping“ gebe.