Hamburg. Hamburgs Tennisass Alexander Zverev bekommt auf der Jagd nach dem Rothenbaum-Titel Hilfe vom Bruder

Dass er seine Schlagfertigkeit nicht mit dem Verlassen des Tennisplatzes abstreift, beweist Alexander Zverev am Montag beim ATP-Turnier am Rothenbaum eindrucksvoll. „Ich könnte Ihre Oma sein“, sagt Christiane Kunze zu Hamburgs Tennisass. Dessen Return lässt die 71-Jährige, die bis vor zwei Jahren beim TuS Berne selbst aktiv den Schläger schwang, befreit auflachen: „So jung bin ich ja nun auch nicht mehr.“ Ein nett verpacktes Kompliment für eine Dame, die zum Ende des Gesprächs nur eine Bitte hat: „Denken Sie immer daran, dass in Hamburg eine alte Frau sitzt, die Ihnen die Daumen drückt.“

Daumen drücken kann nie schaden. Aber dass aus dem Toptalent, das vor drei Jahren erstmals dank einer Wildcard von Turnierdirektor Michael Stich im Hauptfeld des traditionsreichsten deutschen Tennisturniers mitspielen durfte, ein Jahr später sensationell das Halbfinale erreichte, mit seinem rasanten Aufstieg viele faszinierte und in diesem Jahr als Nummer 27 der Welt und Nummer vier der Setzliste in seine Heimatstadt zurückkehrte, ein Mann mit Format geworden ist, konnte die Winterhuderin staunend erleben. Christiane Kunze war von der Fluggesellschaft Emirates und dem Abendblatt zum Auftakttag eingeladen worden, inklusive eines Trainingsbesuchs und eines kurzen Treffens mit dem deutschen Shootingstar.

Wie exklusiv ein solches Fünfminutengespräch ist, weiß zu ermessen, wer als Medienvertreter versucht, ein Interview mit dem 19-Jährigen zu bekommen. Von Manager Patricio Apey, der einst Argentiniens Tennisidol Ga­briela Sabatini zur Marke machte, wird der jüngere Zverev-Bruder in einer Form abgeschirmt, die bisweilen ratlos macht. Bis auf einen Pflichttermin und die obligatorischen Pressekonferenzen nach Matches will der 198-Zentimeter-Schlaks auch bei seinem Heimturnier keinerlei PR-Aktivitäten bestreiten. Interviewanfragen während der Saison werden von Apey gar nicht erst beantwortet. Das ist schade, weil man seinen Lesern gern mehr mitteilen würde als genormte Floskeln. Andererseits scheint der Weg richtig zu sein, denn so kann sich Zverev auf das konzentrieren, was ihm praktisch seit seiner Geburt das Wichtigste ist: Tennisspielen. Schließlich soll er das Publikum unterhalten und nicht die Journalisten.

Wenn ihm das nach seinem Erstrundenmatch gegen den Spanier Inigo Cervantes an diesem Dienstag (zweite Partie nach 13 Uhr/Eurosport und Hamburg 1 live) bis zum Finalsonntag gelänge, wäre dem in einer Absagenflut schlingernden Turnier immens geholfen. „Natürlich ist die Hoffnung groß, dass wir endlich wieder einen deutschen Sieger feiern können“, sagte Stich, der vor 23 Jahren als letzter einheimischer Profi in Hamburg triumphierte. Dass neben dem topgesetzten Augsburger Philipp Kohlschreiber (Nr. 22 der Welt), der an diesem Dienstag gegen den Argentinier Carlos Berlocq ins Turnier eingreift, Alexander Zverev der große Hoffnungsträger ist, daraus macht niemand ein Geheimnis.

Mischa Zverev glaubt an Turniersieg seines Bruders

„Wenn er seine Bestleistung bringt, dann kann er das Turnier gewinnen“, sagte am Montag einer, der es wissen muss: Mischa Zverev (28), der seinen jüngeren Bruder aufwachsen sah und bis heute versucht, so oft wie möglich an dessen Seite zu sein. Der von vielen Verletzungen gebeutelte frühere Davis­cupspieler, der noch nie ein Hauptfeldmatch am Rothenbaum gewinnen konnte, setzte am Montag vor 3300 Zuschauern zwar seine schwarze Serie mit einer 6:7 (5:7), 4:6-Pleite gegen den brasilianischen Qualifikanten Thiago Monteiro fort, bleibt dem Turnier aber als Doppelpartner seines Bruders erhalten, der in einer VIP-Box zusah.

Auch wenn beide – voraussichtlich am Mittwoch – in Runde eins gleich auf die topgesetzten Lukasz Kubot/Alexander Peya (Polen/Österreich) treffen, lebt der Traum, gemeinsam im Daviscup für Deutschland anzutreten, fort. „Natürlich wäre das super, aber dafür muss ich im Ranking deutlich besser werden“, sagte der 141. der Weltrangliste, der bis Jahresende mindestens 41 Ränge gutmachen will. Die Klasse dazu habe sein Bruder, sagte Alexander am Montag. „Im Training gewinnt er öfter gegen mich als ich gegen ihn.“ Auf der ATP-Tour haben sie sich bislang noch nie duelliert, die beiden Aufeinandertreffen auf der Challengertour gewann Mischa, 2012 in Dallas, zwei Jahre später in Houston.

Die USA, wo der Familienclan – die Eltern sind ehemalige Tennisspieler und trainieren ihre Söhne – in Florida ein Haus besitzt, und Monaco sind die Stützpunkte der Zverev-Brüder. Ihre Heimat aber bleibt Hamburg, sie haben sich gegen das obligatorische Hotelzimmer und für das eigene Bett im Elternhaus in Lemsahl entschieden. „Ich bin so selten in Hamburg, dass ich es sehr genieße, zu Hause zu sein und viel Zeit für Familie und Freunde zu haben“, sagte Alexander Zverev. Auch wenn er zum Weltbürger geworden ist, dem alle Experten eine Karriere als Grand-Slam-Sieger zutrauen: Seinen ersten Titel auf der ATP-Tour in Hamburg zu gewinnen, wo alles begann, das würde nicht nur Christiane Kunze begeistern, die seit Montag ihre Daumen noch fester drückt als zuvor.