Marseille. Eine positive Botschaft der EM lautet, dass der deutsche Fußball weiter Talente am Fließband produziert

Seinem Gesicht war das Hoffnungsvolle nicht gerade in überdurchschnittlichem Maße anzusehen. Mit verkniffener Miene stand Joshua Kimmich am Freitagvormittag bereit. Abflug nach Hause, das Ende eines EM-Turniers, das Ende eines Traums, sorgsam verstaut in den Koffern und Taschen der deutschen Fußball-Nationalspieler. Mit 0:2 war das Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich am Abend zuvor verloren gegangen. Ein Abschied mit leeren Blicken. Aber auch einer, in dem ein beträchtliches Maß an Hoffnung für die Zukunft steckt.

Hoffnung, die zum Beispiel jener Joshua Kimmich liefert. „Dafür, dass das hier seine Premiere war, hat er es sehr ordentlich gemacht“, sagte Thomas Müller über seinen Münchner Mannschaftskollegen. Und wer ihn das sagen hörte, der wusste, dass er eigentlich meinte, dass es Joshua Kimmich sehr, sehr gut gemacht hatte bei diesem Turnier, das dessen erstes war. Bei der Kaderberufung vor dem Turnier stand Kimmichs Nominierung noch auf der Kippe, im Laufe des Turniers entwickelte sich der 21 Jahre alte Jüngling zu einem durchaus belastbaren Rechtsverteidiger. Gegen die starke französische Offensive hatte nicht nur er es manchmal schwer, aber als es darum ging, sich gegen die drohende Niederlage zu stemmen, da schwang er sich mit einem Pfostenschuss und einem gefährlichen Kopfball in die vorderste Reihe auf.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sein verunglückter Rückpass das 0:2 einleitete. Noch ist er eben nicht der neue Philipp Lahm, Deutschlands zurückgetretener Weltmeister-Kapitän von 2014. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Er könnte es mal werden. Wie die anderen jungen Spieler, die zeigten, dass sie schon jemand sind und vor allem noch was werden können.

Mit einem Altersdurchschnitt von 25 Jahren und acht Monaten stellte Deutschland den jüngsten Kader dieses Turniers – und beeindruckte trotzdem mit seinem souveränen Auftreten. Neben Kimmich (21 Jahre) deutete Emre Can (22) an, dass er eine Alternative im defensiven Mittelfeld sein kann, wenn die alternden, verletzungsanfälligen Strategen Bastian Schwein­steiger (31) oder Sami Khedira (29) keine verlässliche Option mehr sein werden.

Der Schalker Leroy Sané (21), wie Can EM-Debütant gegen Frankreich, gilt ob seiner besonderen Fähigkeiten ohnehin als ein Versprechen für die Zukunft. Julian Weigl (21) und Jonathan Tah (20) blieben zwar als einzige Feldspieler ohne Einsatzminute bei diesem Turnier, aber auch ihre Zeit wird erst noch kommen. Die Eindrücke aus Frankreich werden ihre rasante Entwicklung weiter beschleunigen. „Viele junge Spieler haben wichtige Erfahrungen sammeln können“, sah National-Mannschaftsmanager Oliver Bierhoff schon in der Stunde der Niederlage Licht am Ende des Kabinengangs im Stade Velodrome von Marseille

Die Botschaft ist, dass der deutsche Fußball weiterhin in einem irrsinnigen Tempo Talente produziert. Nie war das Reservoir an Qualität so groß wie gegenwärtig. Mit Ilkay Gündogan und Marco Reus fielen zwei Männer von internationaler Klasse aus, Julian Draxler – auch erst 22 Jahre alt – spielte sich dafür in den Vordergrund. Eine Chance, die absehbar auch der Gladbacher Mahmoud Dahoud (20), der Leverkusener Julian Brandt (20) und der Schalker Leon Goretzka (21) erhalten werden. Einen Teil seiner Zukunftshoffnungen wird sich Bundestrainer Joachim Löw beim olympischen Turnier in Rio ansehen können – und dann vermutlich zu dem gleichen Schluss kommen wie Mats Hummels, der trotz der Niederlage fast zu schwärmen begann: „Da wird noch einiges nachkommen. Um gute Spieler müssen wir uns wenig Sorgen machen.“