Lille. Die Zukunft des belgischen Trainers ist nach dem blamablen EM-Aus des Mitfavoriten äußerst ungewiss

Nach der „Schande von Lille“ am Freitag deutete zunächst alles auf einen schnellen Abschied von Marc Wilmots hin. Wie es so ist, nach dem versagen eines Favoriten. Doch der Trainer der belgischen Nationalmannschaft erhielt am Wochenende überraschend noch eine Gnadenfrist. Der Verband KBVB gab bekannt, dass er trotz des sensationellen 1:3 im EM-Viertelfinale gegen Wales keine schnelle Entscheidung treffen möchte. Dennoch bleibt Wilmots ein Coach auf Abruf.

„Die Niederlage hat auch den Verband hart getroffen“, teilte der KBVB mit: „Es wurde aber beschlossen, keine überhasteten Schlüsse zu ziehen.“ Stattdessen werde in den kommenden Wochen „gründlich die sportliche und organisatorische Funktionsfähigkeit der Nationalmannschaft bilanziert“. Mit Entscheidungen sei in den kommenden Tagen noch nicht zu rechnen.

Damit erfüllte der Verband den Wunsch von Wilmots. Der Coach, dessen Vertrag noch bis Juni 2018 läuft, hatte um Bedenkzeit gebeten. „Ich werde meine Entscheidung nicht sofort treffen. Ich muss alles analysieren und brauche Zeit, um darüber nachzudenken“, sagte der 47-Jährige, der seit rund vier Jahren im Amt ist, kurz nach dem EM-Aus.

Bei der Analyse der Belgier wird herauskommen, dass die Roten Teufel ihrer Rolle als Mitfavorit bei der Endrunde nicht gerecht wurden. So sahen es auch die 150.000 Fans, die zum Feiern aus Belgien ins nahe Lille gekommen waren, am Ende aber enttäuscht die Heimreise antreten mussten.

Das hochgehandelte Starensemble um Kevin De Bruyne, Eden Hazard und Thibaut Courtois folgte wenige Stunden später. Dabei wurden die Rückkehrer von Schlagzeilen empfangen, die sie zu Versagern abstempelten. Die Zeitung De Morgen hatte eine „erniedrigende Niederlage“ gesehen, das Blatt Het Laatste Nieuws schrieb sogar von „einer Schande“ – und stellte die entscheidenden Fragen gleich mit in den Raum: „Und jetzt ein richtiger Trainer? Adieu Wilmots?“

Die Antwort darauf gaben im Grunde die Spieler. Nach dem Aus wurde erneut deutlich, dass sich tiefe Gräben durch das Team ziehen. Es gibt das Lager der Wilmots-Freunde um Ersatzkapitän Hazard, das der Wilmots-Gegner mit Torwart Courtois, und das der Unentschlossenen, zu denen De Bruyne gehört. Mehr denn je drängte sich der Eindruck auf, dass die Mannschaft seit der EM-Absage von Anführer Vincent Kompany (Leistenverletzung) nicht mehr zusammengefunden hat – sie wirkte so fast wie ein Spiegelbild des zerstrittenen Landes.

So griff Courtois wie schon nach der Auftaktpleite gegen Italien (0:2) den Trainer an, er bemängelte taktische Fehler. „Ich muss meine Worte vorsichtig wählen, denn ich will nicht alles zerstören“, sagte der Keeper des FC Chelsea: „Aber was ich zu sagen hatte, habe ich in der Kabine gesagt. Das ist die größte Enttäuschung meiner Karriere.“

Hazard dagegen nahm Wilmots, dem schon seit längerer Zeit das Interesse an einem lukrativen Trainerjob in China nachgesagt wird, in Schutz. „Wir stehen alle hinter ihm. Wir hoffen, dass er weitermacht und wir zusammen in der Zukunft noch großartige Dinge erreichen“, sagte der Clubkollege von Courtois – wohl ohne Kenntnis der Aussagen des Torhüters.

Dass Wilmots in zwei Jahren bei der WM in Russland an der Seitenlinie stehen wird, glaubt der frühere Schalker aber wohl selbst nicht. Schon bei der WM vor zwei Jahren war er mit seinem hochveranlagten Team im Viertelfinale gescheitert. Damals aber gegen den späteren Vizeweltmeister Argentinien, einer Top-Mannschaft. Jetzt waren die Voraussetzungen völlig anders.

Vielleicht klangen seine Aussagen auch deshalb wie ein Fazit seiner Arbeit. „Die ersten 20 Minuten haben wir gut gespielt und Wales dominiert.Danach sind wir 15 Meter zurückgewichen. Ich weiß nicht, warum das passiert ist. Vielleicht war es Angst,“ sagte der ehemalige Profi von Schalke 04, der eines aber sicher weiß: „Am Ende bin ich verantwortlich.“