BorDeaux. Sami Khedira von Juventus Turin dient dem Bundestrainer gegen Italien als Spion und rechte Hand

Sami Khedira hat einen Zwilling. Er kam fast zeitgleich mit Manuel Neuer auf die Welt – genau als Deutschland in die EM startete. In einem Stall in Niedersachsen gebar während des Spiels gegen die Ukraine eine Kuh gleich zwei gesunde Kälber, was äußerst selten vorkommt. Und der Bauer war ob dieser schicksalhaften Parallelität der Ereignisse so entzückt, dass er sein Vieh nach den beiden deutschen Nationalspielern nannte.

Die Geburtsstunde des Turnierspielers Sami Khedira in Frankreich war jene Auftaktpartie gegen die Ukraine freilich nicht. Der 29-Jährige wirkte eher wie ein PS-starker Geländewagen, dessen Handbremse klemmte. Und das wurde auch danach nicht besser. Aber für Joachim Löw bleibt der echte Sami Khedira unumstritten wichtig. Der Bundestrainer sieht in ihm eines seiner besten Pferde im Stall – vor allem jetzt, da es in Bordeaux an diesem Sonnabend im EM-Viertelfinale gegen Italien geht (21 Uhr/ARD).

Seit einer Saison spielt Khedira für den italienischen Meister Juventus Turin. Und weil der Gegner der deutschen Nationalelf außerordentlich stark mit Juve-Spielern besetzt ist – insgesamt sechs (Gianluigi Buffon, Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci, Giorgio Chiellini, Stefano Sturaro und Simone Zaza) –, hielt ihn Löw in dieser Woche vor dem großen Duell gegen die „Squadra Azzurra“ auch für den besten Scout, den er hat: „Sami kennt die Spieler aus dem Effeff“, sagte der 56-Jährige. Löw hat mit ihm vor allem über die Dreierabwehrkette der Italiener gesprochen: Barzagli-Chiellini-Bonucci. Er wollte wissen, wie sie sich in Stresssituationen verhalten. Khedira ist der Verbindungsmann zur Welt des Gegners, „ein wichtiger Ansprechpartner“, so Löw. Aber das gilt nicht nur jetzt, da sich Khedira bestens als Spion eignet. Für Löw ist Khedira seit dem Abgang von Philipp Lahm auch seine rechte Hand auf dem Feld. Er verbindet Trainer- mit Spielerwelt. „Sami hat eine wahnsinnig hohe Qualität. Seit der WM 2010 ist er bei uns in der Vorbildfunktion wahnsinnig wichtig“, sagt Löw. Khedira habe neben dem Rasen den Blick für die Teamhygiene.

Nach dem Achtefinalsieg gegen die Slowakei tröstete er Emre Can, der wegen fehlender Einsatzzeit frustriert war. Und dann sagt Löw noch einen scheinbar simplen, aber wichtigen Satz: „Sami ist klug, er erfüllt einfach die Aufgabe, die man ihm gibt.“ Khedira ist nicht gerade ein Kritiker-Liebling. Aber ein Trainer-Liebling war der Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen immer: Beim VfB Stuttgart, wo er unter Armin Veh mit 20 Deutscher Meister wurde, ebenso bei Real Madrid, wo ihn Carlo Ancelotti 2014 nach gerade überstandenem Kreuzbandriss trotzdem im Champions-League-Finale in die Startelf beorderte – und gewann –, und auch bei Löw, der vor der WM in Brasilien auf Khediras Fitness wartete, als die Kritiker schon murrten. Ein Trainer-Liebling ist Khedira, weil er auf und neben dem Feld wie ein Trainer denkt. Und weil er ihm mitteilt, was das für Gedanken sind.

„Genau wie wir Spieler von Toptrainern lernen können, können sie auch von uns etwas mitnehmen“, sagt Khedira. Mit Löw sei das besonders intensiv: „Wir ergänzen uns ideal“, sagt Khedira. Diesbezüglich ist Löw offenbar ein Führungsspieler-Liebling: „Er rennt nicht stur durch die Wand und sagt: Ich will das so machen. Er hört auf das Gefühl der Spieler“, sagt Khedira, was ja ein wunderbarer Satz ist.

Aber Löw hört auch auf sein eigenes Gefühl, und das sage ihm trotz der konträren Kritikermeinung bisher, dass Khedira zuletzt im Turnier „immer dynamischer“ geworden sei. Wichtig ist das für Löw, weil Khedira in seinem Team der vielen Künstler einer für die Arbeit ist. An guten Tagen galoppiert er vorn große Löcher in des Gegners Gelände, und hinten hinein in die Räume, die der Gegner zum Angreifen bräuchte. Er ist der Verbindungsmann zwischen defensiver und offensiver Welt. Ins deutsche Spiel bringt Khedira dann rein, was man „Wucht“ nennt. An schlechten Tagen, wenn ihm die Wucht fehlt, wirkt er spielerisch limitiert.

Die schlechten Tage in der Karriere des Sami Khedira kamen meistens nach Verletzungen. Und diese wiederum gab es oft. Er hat deshalb bei Juventus seine Trainingsmethoden umgestellt, ebenso wie seine Ernährung. Seit einem Muskelfaserriss im Herbst lief es deutlich besser: 20 von 38 Spielen bestritt er mit Juve in der Liga, vier von acht in der Champions League: „Ich habe meinen Rhythmus gefunden, weil ich so viele Partien bestritten habe wie in zwei Jahren davor zusammen.“

So könnte es sein, dass man bei dieser EM den echten Sami Khedira noch gar nicht gesehen hat. Dem „Stern“ hat er neulich gesagt: „Viele haben mich schon abgeschrieben. Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass ich langsam so stark werde wie noch nie.“