Helmut Kohl stand in der Kabine, in der Hand hielt er einen Plastikbecher. Um den Bundeskanzler tanzten halb nackte Männer, die gerade im Olympiastadion von Rom Weltmeister geworden waren. 1990 war die Zeit günstig für Kohl, um sich im Glanz der deutschen Nationalelf zu sonnen. Und vielleicht hat sich das Angela Merkel für später gemerkt. „Kohls Mädchen“, wie die heutige Bundeskanzlerin genannt wurde, hat sich jedenfalls als besonders geschickt darin gezeigt, die Strahlkraft der Nationalmannschaft für sich zu nutzen.

Seit sie regiert, taucht sie in deutschen Umkleidekabinen auf, wenn wieder gewonnen wurde. 2010 nach dem 4:0 im WM-Viertelfinale gegen Argentinien hielt Tim Wiese sogar eine Rede, als Merkel eintrat. 2012 nach dem EM-Viertelfinalsieg gegen Griechenland soll sie gesagt haben: „Ohne Wiese fang ich nicht an.“ Es könnte also an der Abwesenheit des früheren Bremer Torhüters liegen, dass Merkel bisher in Frankreich noch nicht aufgekreuzt ist. Unschön ist das vor allem, weil die Kanzlerin so etwas wie das Glücksschwein der Nationalelf geworden ist: Kommt sie, gewinnt Deutschland. Kommt sie nicht, stehen die Chancen schlecht – vor allem gegen Italien wie nun im EM-Viertelfinale. 2012 schickte Merkel ihren Sportminister Hans-Peter Friedrich, und der Ausgang des EM-Halbfinals (1:2) ist bekannt. Joachim Löw bleibt also nur eins: Er muss Wiese nachnominieren.

Auch wir in Evian hatten in unserem Journalisten-Haus übrigens Besuch von ganz oben: Der neue DFB-Präsident Reinhard Grindel war am Mittwoch zum Grillen bei uns eingeladen. In unserem Glanz sonnen wollte er sich aber nicht. Und wir hatten auch alle etwas an.