Evian-les-Bains. Der deutliche 3:0-Erfolg im EM-Achtelfinale gegen die Slowakei hat das Selbstvertrauen des DFB-Teams vor dem Duell mit Italien gestärkt

Der riesige Raum ist hergerichtet wie ein Kinosaal, die Sitzreihen allerdings fallen etwas üppiger aus als gewöhnlich: Es sind Couchen und Sessel, hinten Korb, vorne weißer Stoffbezug auf dickem Polster. Die Aufführung, die es am Montagabend zu sehen gab, zählte zu den Klassikern europäischer Fußball-Unterhaltung, und ein bisschen ließ sich aus deutscher Sicht auch das cineastische Motiv vom Spiel mit der Angst herauslesen: Spanien gegen Italien flimmerte da über die Leinwand, und die deutschen Nationalspieler sahen in ihrem Quartier zu, welche der beiden durchaus gefürchteten Mannschaften nun am Sonnabend (21 Uhr) in Bordeaux der Gegner im Viertelfinale dieser EM sein würde.

Italien siegte 2:0, und das hätte etwas Unbehagen auslösen können am Genfer See, weil die teutonische Erfolgsgeschichte bei den Turnieren seit 2006 endete, wenn sich die „Squadra Azzurra“ in den Weg stellte. Halbfinale gegen Italien bei der Heim-WM 2006 – mit 0:2 nach Verlängerung verloren. Halbfinale bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine – gegen Italien mit 1:2 verloren. Tatsächlich aber machte sich im Lager der besten deutschen Fußballer eine beschwingte Laune breit. Zum Training am Montagmittag erschien DFB-Präsident Reinhard Grindel im blütenweißen Hemd, das so strahlte wie das Lachen der Ersatzspieler.

Gewiss, den 3:0-Sieg gegen die Slowakei am Vorabend in Lille wollten Bundestrainer Joachim Löw („Wir müssen uns steigern, wenn wir das Turnier gewinnen wollen“) und die Spieler aufgrund der unzureichenden Qualität des Gegners nicht überbewerten. Aber zur Wahrheit gehörte auch, dass sich der Weltmeister von 2014 seit jener magischen Nacht in Rio zwei Jahre lang durch allerhand Spiele gequält hatte. Biedere Spiele, die schlechte Ergebnisse zur Folge hatten, manchmal auch schlechte Spiele mit besserem Ausgang, so gut wie nie aber Spiele von prägnanter Schönheit und überzeugendem Ergebnis. Das war am Sonntagabend anders – zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Fußballnation und sogar die Spieler selbst einen deutlichen Sieg wünschten.

Weil es so gekommen war, macht sich auf dem Kontinent gerade mal wieder jene Gewissheit breit, die die Konkurrenz wahlweise bestaunt, verflucht oder bewundert. Deutschland ist da, wenn es wichtig wird. „Es braucht immer ein bisschen, bis man richtig reinkommt ins Turnier. Es ist selten so gewesen, dass eine Mannschaft alle Spiele mit zwei, drei Toren Unterschied gewinnt und am Ende Turniersieger wird. Dementsprechend liegen wir gut im Plan“, meinte Bayern-Profi Thomas Müller nach der Partie und stellte den gebotenen Leistungssprung als Folge von harmonisiertem Rhythmus und wachsendem Kollektivgefühl dar.

Aber es ließe sich auch eine psychologische Komponente feststellen. Eine – bewusst oder unbewusst – gesteigerte Wachsamkeit in den Phasen, in denen es um Größeres geht. „Wir sind eher eine Turniermannschaft als eine Testspielmannschaft, aber das müssen wir erst noch abschließend beweisen bei diesem Turnier“, meinte zum Beispiel Mittelfeldstratege Toni Kroos. Er spielt bei Real Madrid und hat gerade die Champions League mit diesem edelsten aller edlen Clubs gewonnen. Spielern seiner Klasse – wie sie Deutschland hat – darf man unterstellen, dass sie die persönliche Bereitschaft rechtzeitig noch etwas nach oben regeln. Dass es so abläuft, davon sind sie im Ausland ziemlich überzeugt. „Deutschland ist einfach eine Turniermannschaft. Die Spieler wissen, wann sie aufdrehen müssen“, sagte der slowakische Trainer Jan Kozak nach dem Spiel, in dem seine Mannschaft vollkommen chancenlos geblieben war: „Ich glaube, die Deutschen haben das Turnier jetzt erst begonnen.“

Ab jetzt aber wartet auf den Bundestrainer und seine Mannschaft gehobene bis höchste europäische Qualität. „Spanien war die technisch beste Mannschaft bei diesem Turnier. Sie sind verdammt ballsicher“, lobte Abwehrchef Jerome Boateng erst die spanische Offensive, dann die italienische Defensive: „Sie sind taktisch super geschult, die Abstände stimmen zentimetergenau.“ Aber selbst die Aussicht auf Angstgegner Italien im Viertelfinale bringt niemanden so recht aus der Ruhe. „Beide Mannschaften, die Italiener und wir, sind in die Kategorie Turnierfavorit einzuordnen“, befand Joachim Löw, aber „das bereitet mir keine schlaflosen Nächte“. Er weiß, was seine Mannschaft kann und dass es gute Gründe gibt, an ein Weiterkommen zu glauben.

Da wäre erstens die Defensive, die zwei Jahre lang so geordnet wirkte wie ein Pariser Kreisverkehr im Feierabendverkehr, nun aber Bestwerte erzielt. Keinen einzigen Gegentreffer musste sie in den ersten vier EM-Spielen hinnehmen, selbst die gefürchteten Konter des Gegners hat sie erstaunlich gut im Griff, was gegen Italien helfen dürfte. Mittlerweile – Punkt zwei – hat die Offensive ihre Leichtigkeit zurück. In den zurückliegenden beiden Spielen produzierte sie eine geradezu unübersichtliche Anzahl bester Chancen, von denen allerdings zu viele ungenutzt blieben. Und drittens scheint Joachim Löw das goldene Händchen für seine Mannschaft nicht eingebüßt zu haben. Er brachte zuletzt auf der Rechtsverteidigerposition Joshua Kimmich für Benedikt Höwedes, was die Offensive belebte. Er entschied sich für Mario Gomez als Stürmer, der sich in zwei Spielen mit zwei Toren bedankte. Und er brachte Mittelfeldspieler Julian Draxler wieder ins Spiel, der gegen die Slowakei ein Schlüsselspieler war.

Deutschlands EM-Film bewegt sich nach etwas tempolosem Beginn nun auf einen ersten Höhepunkt zu. Und spätestens am 10. Juli wird dann feststehen, welchem Genre er zuzuordnen ist: Drama, Tragikomödie oder doch Fortsetzungsroman mit Happy End.