Paris. Während Spanien vor dem Achtelfinale Zoff mit den heimischen Medien hat, vertrauen die Italiener weiter auf ihre starke Defensive

Am Sonnabend öffnete die spanische Delegationsleitung ausnahmsweise die Pforten des sonst strikt verriegelten Mannschaftshotels auf der Île de Ré. Wohl eine kleine Goodwill-Aktion für die Journalisten. Oder soll man besser sagen: Gegenpropaganda zur eigenen Mannschaft? Wer die Spanier so verfolgte in den vergangenen Tagen, konnte nämlich glatt den Eindruck gewinnen, die „Selección“ kämpfe bei dieser EM weniger gegen andere Mannschaften, wie heute im südeuropäischen Klassiker gegen die Italiener (18 Uhr, ARD), als gegen die eigene Presse.

„Ihr sorgt doch für die schlechte Stimmung!“, blökte Verteidiger Jordi Alba etwa, als er nach schlechter Stimmung gefragt wurde. Kollege Gerard Piqué verbreitete nach der Polemik um seinen vermeintlichen Stinkefinger während der Nationalhymne das Video eines Comedy-Programms, in dem Sportjournalisten beim Manipulieren von Nachrichten nachgestellt werden. Blieben der Verdacht gegen Torwart David De Gea in einem Pornoskandal, die patzigen Äußerungen von Stürmer Pe­dro über seine Ersatzspielerrolle, das seltsame Platzhirschgehabe von Sergio Ramos vor dem verschossenen Elfmeter gegen Kroatien – auch Medienerfindungen? Wenn sogar Vicente del Bosque plötzlich dünnhäutig und geradezu aggressiv wird, dann muss etwas grundsätzlich aus den Fugen geraten sein.

Jahrzehntelang war der Nationaltrainer für Ausgeglichenheit, inneren Frieden und buddhaeske Toleranz bekannt. Nun sprach er in einem Interview mit Radio Marca davon, „Lüge um Lüge“ ausgesetzt zu sein. Für manche Kritiker wählte er eine drastische Metapher: „Wissen Sie, was ein Langhobel ist? Das ist eine Bürste, die Tischler benutzen, um die Rauigkeit zu entfernen. Aber es gibt welche, denen bekäme auch der beste Langhobel der Welt nicht die Bösartigkeit ausgetrieben.“

Bei solchen handwerklichen Problemen scheint fast noch das geringste Übel zu sein, dass Spanien gegen Italien in seinem weißen Zweittrikot antreten muss. Das ist mit seinen gelb-roten Farbsprenkeln nicht nur ausnehmend hässlich, es hat in der Geschichte auch nichts als Unglück gebracht: Die jüngste Niederlage gegen Kroatien wurde ebenso in Weiß erspielt wie das epochale 1:5 bei der letzten WM gegen Holland oder, um bei Italien zu bleiben, ein 1:2 im WM-Viertelfinale 1994. Damals besprenkelte Blut das Hemd – den Ellbogenschlag von Mauro Tassotti gegen Luis Enriques Nase in der 94. Minute hat in Spanien keiner vergessen.

Zumindest im richtigen Trikot verdrehte sich der Trend zuletzt allerdings ins Gegenteil. Wo Spanien gegen Italien zuvor nie bei einem Turnier gewinnen konnte, feierte es im Viertelfinale 2008 mit dem Sieg nach Elfmeterschießen eine Zeitenwende. Vier Jahre später fügte es dem einstigen Peiniger mit einem 4:0 im Finale eine ungewöhnlich deftige Niederlage zu. Das Meisterwerk des Tiki-Taka sorgte bei den Italienern für eine offene Wunde, wie Mittelfeldspieler Marco Parolo erklärt: „Wir sprechen über dieses Spiel, wir haben es sogar noch mal analysiert. Die Möglichkeit einer ordentlichen Revanche gibt uns das innere Feuer für eine große Partie.“

Wo Italien vor vier Jahren unter Cesare Prandelli mit dem Offensivfußball flirtete, ist es bei diesem Turnier unter Nachfolger Antonio Conte auch wegen verletzungsbedingter Ausfälle zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Und die heißen, na klar: Catenaccio. „Wir werden kämpfen wie immer, hässlich, dreckig, was ihr wollt“, sagte Andrea Barzagli und prophezeite seinem Juventus-Teamkollegen Álvaro Morata: „Er weiß ja: Wenn er versucht, an Giorgio (Chiellini, die Red.) vorbeizukommen, fängt er sich zwei Tritte ein.“ Wie Italien seinen neuen Angstgegner, seine „schwarze Bestie“, stoppen könne? Da machte Barzagli die Pistolero-Bewegung: „Wir werden sie umlegen müssen“.

Das war natürlich alles nur ein Scherz, halb jedenfalls. Die Zuhörer lachten, und eines ist schon mal klar: Mit der Stimmung haben die Italiener überhaupt keine Probleme. Torwart und Kapitän Gigi Buffon orakelte schon kurz nach dem Auftaktsieg gegen Belgien über die Parallelen zur WM 2006, Italiens letztem großen Titel. „Wie vor zehn Jahren haben wir das erste Spiel mit 2:0 gewonnen. Seit dem ersten Tag des Trainingslagers sehe ich die Bereitschaft zu verschmelzen. 2006 haben wir es auch geschafft, weil 23 Burschen in einem aufgegangen sind.“ Weil Conte im letzten Gruppenspiel gegen Irland auf breiter Basis rotierte, konnte die Stammelf anderthalb Wochen lang ausruhen. Weitere Vorteile Italiens? „Wir kennen unsere Grenzen“, sagt Buffon. Fußballerisch haben die Spanier sicher mehr zu bieten. Fragt sich, welche Rolle das Betriebsklima spielt.

Italien: Buffon – Barzagli, Bonucci, Chiellini – Florenzi, Parolo, De Rossi, Giaccherini, Darmian – Pellè, Eder.Spanien: De Gea – Juanfran, Piqué, Ramos, Alba – Fabregas, Busquets, Iniesta – Silva, Morata, Nolito.
Schiedsrichter: Cakir (Türkei).