Die wichtigste Erkenntnis nach dem 1:0-Sieg über Nordirland lautet für mich: Bundestrainer Joachim Löw hat mit seinen Umstellungen alles richtig gemacht. Mit Mario Gomez und Jo­shua Kimmich kam die deutsche Offensivabteilung bei dieser EM endlich richtig ins Rollen.

Der Wechsel auf der rechten Außenverteidigerposition kam dabei nicht wirklich überraschend. Es war klar, dass man gegen die offensiv eher ungefährlichen Nordiren keinen absoluten Defensivspezialisten wie Benedikt Höwedes auf der Außenbahn braucht. Mit Kimmich hat sich Löw für die deutlich spielstärkere Variante entschieden. Der technisch brillante Kimmich konnte mit seinen Flanken immer wieder für Gefahr sorgen. Seine Nominierung im Kader hat er jetzt schon gerechtfertigt. Seine Vielseitigkeit ist wichtig für Löw. Dass er bei den Bayern nur selten auf der Außenbahn spielt, ist kein Problem. Im Gegenteil, die Erfahrungen als Innenverteidiger und defensiver Mittelfeldspieler tun ihm gut.

Der jetzige Hype um den Bayern-Spieler kommt mir dennoch zu früh, der Vergleich mit Philipp Lahm erst recht. Gegen die harmlosen Nordiren war Kimmich defensiv nicht gefordert, wir müssen abwarten, wie er sich gegen offensiv deutlich bessere Gegenspieler schlagen wird. Wir tun dem Jungen keinen Gefallen, wenn wir ihn nach nur zwei Länderspielen als Königslösung für die Lahm-Nachfolge preisen.

Eine wichtige Voraussetzung für die eine Stammplatz-Perspektive bringt Kimmich allerdings mit: Er hat das nötige Selbstvertrauen – typisch für einen Spieler des FC Bayern. Einer wie er versteckt sich nicht, sondern riskiert auch Dribblings und den schnellen Torabschluss. In jeder Minute hat man gespürt, dass Kimmich seine Nominierung als einmalige Chance begreift. Bei mir war es im Oktober 1990 ähnlich, als ich mein Länderspiel-Debüt beim 3:1-Sieg in Stockholm gegen Schweden feiern durfte.

Damals war ich durch Verletzungen von etablierten Spielern in die Stammformation gerutscht. Ich wollte unbedingt neue Chancen erhalten, entsprechend Gas habe ich damals gegeben. Und damals wie heute ist der Teamgeist intakt. Ich profitierte 1990 von den Erfahrungen eines Thomas Häßler, mit dem ich in der Bundeswehr-Nationalmannschaft zusammen gespielt hatte. Heute kann Kimmich auf Führungsspieler wie Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller oder Manuel Neuer vertrauen.

Über das Tor von Mario Gomez habe ich mich besonders gefreut. Irgendwie war es ein typischer Treffer für ihn. Er hätte es technisch viel einfacher lösen können, indem er den Ball ins Tor hebt. So profitierte er davon, dass der Ball abgefälscht wurde und über die Torlinie trudelte. Aber Mario ist gegenüber seiner Zeit in Italien nicht wiederzuerkennen. In der Türkei, wo er mit 26 Treffern für Besiktas Istanbul Torschützenkönig wurde, hat er enormes Selbstvertrauen getankt. Jetzt macht es ihm auch nichts mehr aus, dass er in den ersten beiden Turnierspielen nur auf der Bank sitzen musste.

An der Seite von Gomez wird automatisch auch Thomas Müller stärker. Gomez zieht zwei Verteidiger auf sich, da hat Thomas viel mehr Freiräume. Leider konnte er seine Chancen gestern nicht verwerten. Jeder Fußballer kennt das: Es gibt Tage, da will der Ball einfach nicht ins Tor.

Löws Ärger über die vielen vergebenen Chancen kann ich sehr gut verstehen. Wir haben davon profitiert, dass Polen über ein 1:0 gegen die Ukra­ine nicht hinauskam. Hätten Lewandowski & Co. die Ukraine klar besiegt, hätte uns die mangelnde Chancenverwertung den Gruppensieg gekostet. Keine Frage, das muss in den kommenden K.-o.-Spielen besser werden.