Paris/Évian-les-Bains. Gegen Nordirland brachte der Techniker den deutschen Mechanismus in Trab. Klappt es auch, wenn’s wichtig wird?

Am Tag nach der erfolgreichen Dienstreise nach Paris hatte Mesut Özil (27) die bekannte Umgebung zurück: das schicke Hotel Ermitage in Évian-les-Bains. Hohe Zäune umgeben das EM-Quartier am Südufer des Genfer Sees und signalisieren: wir hier drinnen, ihr alle da draußen. Eine Denkweise, die sich der Fußball-Nationalspieler in den vergangenen Jahren zu eigen gemacht hat, zu eigen machen musste. Es hilft ihm, zwischen Innen- und Außensicht zu unterscheiden.

Denn kaum einer der Nationalspieler muss stets so viel Kritik über sich ergehen lassen. Das hängt mit den Erwartungen zusammen, die man an einen wie ihn hat, an einen Profi, der für Real Madrid gespielt hat und nun bei Arsenal London eine Größe ist. Jener Mesut Özil stand nach dem 1:0 gegen Nordirland im Bauch des Prinzenparkstadions in Paris und sagte: „Bei einem Turnier ist es immer so, dass viele Leute meinen, reinquatschen zu müssen. Aber wir konzentrieren uns nur auf uns. Wir sind Weltmeister und müssen doch keinem mehr etwas beweisen dort draußen.“ Das klingt ein bisschen nach dem Trotz von einem, der sich oft unverstanden fühlt.

Es war zuletzt wieder viel gequatscht worden. Die ersten beiden EM-Spiele waren nicht gerade begeisternd geraten, und der ebenfalls verkopft wirkende Özil war wie stets bei Turnieren ins Fadenkreuz der Öffentlichkeit geraten. Die Anklagepunkte: mangelhaft getretene Eckbälle (Kronzeuge: Mario Basler), schlechte Körpersprache (Mehmet Scholl), Nicht-Singen der Hymne (die üblichen Ankläger). All das vermischt sich dann irgendwie zu der Wahrnehmung, als könnte der gebürtige Gelsenkirchener zwar die große Leichtigkeit versprühen, aber hätte einfach keine Lust dazu, was großer Unsinn ist.

Gegen Nordirland wurde Mesut Özil zum Mann des Spiels gewählt. Das lag daran, dass der 27-Jährige sein Können recht gut sichtbar freigelegt hatte in den 90 Minuten zuvor. Er bereitete ein halbes Dutzend Chancen auf eine Weise vor, die nur wenige beherrschen: gedankenschnell, präzise, erfolgreich. Eine riesige Chance vergab er selbst, aber dafür erreichte er eine unter den Statistik-Freunden für recht einmalig gehaltene Passquote. Einen Wert 98,5 Prozent angekommener Pässe hatten fleißige Mathematiker errechnet.

Özil ist der, der den ganzen Mechanismus zum Laufen bringen kann. Aber er braucht dafür die richtigen Zuspiele (von Toni Kroos) und danach oder am besten gleichzeitig die richtigen Laufwege seiner offensiven Kollegen (Mario Götze, Thomas Müller, Mario Gomez). Die Rädchen um ihn herum müssen sich bewegen, dann vollzieht auch Özil sein Werk zuverlässig. „Wir brauchen Spieler, die in die Tiefe gehen“, erklärte Bundestrainer Joachim Löw mit Blick auf den nächsten defensiven Gegner im Achtelfinale: „Deshalb war Mesut auch heute stärker, weil er in der Spitze Anspielstationen hatte und den letzten Pass spielen konnte.“

Die Frage bleibt nur, ob Özil & Co. nun der offensive Durchbruch gelungen ist, ob es ihnen gelingt, diese spielerische Harmonie auch gegen Gegner herbeizuführen, die weniger Platz zulassen als die überforderten Nordiren. Das ist ja auch so ein Anklagepunkt: dass Özil nicht mehr auftauche, wenn es wirklich wichtig wird. Jetzt wird es bald wieder wichtig. „Ich bin froh, dass ich eine gute Leistung gebracht habe, aber ich weiß auch, dass ich mich noch steigern kann. Das will ich in den nächsten Spielen zeigen“, sagt er, weil er weiß, dass die da draußen das hören wollen.