Hamburg. Jasper Vennemann wird der Älteste im Feld sein, aber das ist er gewöhnt. Ein Jahr lang hat er sich vorbereitet.

„Hey, macht Jasper bei einem Film mit?“, fragt ein Junge aufgeregt. Mit Anzug und Krawatte, so haben sie Jasper Vennemann hier im Leistungszentrum des Verbands für Turnen und Freizeit an der Angerstraße noch gar nicht gesehen. Film? Wenn es so wäre, würde es sie auch nicht wundern. Zu dem Mann vom Altonaer TSV blicken sie alle auf, und das nicht nur, weil er mit seinen 1,70 Metern für einen Gerätturner recht groß geraten ist. Sondern weil er ihr Bester ist.

An diesem Wochenende wird Vennemann (35) als einziger einheimischer Athlet bei den deutschen Meisterschaften in der Sporthalle Hamburg starten. „Dass ich es überhaupt unter die besten 40 geschafft habe, ist für mich schon ein Riesenerfolg“, sagt er. Natürlich wird er der Älteste im Feld sein, aber das ist er gewöhnt. Zuletzt hat er vor zwölf Jahren am Mehrkampfwettbewerb teilgenommen, der frühere Weltmeister Fabian Hambüchen (28) ist einer der wenigen aus der Zeit, die noch aktiv sind.

Seither hat sich Vennemann auf seine Spezialgeräte konzentriert: Ringe, Sprung, Barren. „Aber ich wollte es den Jungs unbedingt noch einmal zeigen, wenn die Meisterschaften schon vor der Haustür stattfinden“, sagt Vennemann. Und dann das: Ende Mai verdrehte er sich bei der Landung in der Schnitzelgrube das Sprunggelenk. Außen­bandriss. An Sprünge und Abgänge war bis zuletzt nicht zu denken.

Jasper Vennemann will es trotzdem versuchen. Ein Jahr lang hat er sich schließlich vorbereitet, „ich war in einer Topverfassung“. Jeden zweiten Tag war er in der Angerstraße anzutreffen. Mehr hätte der Körper nicht mitgemacht. Und mehr hätte er auch gar nicht gewollt: „Ich habe ja noch ein anderes Leben, das ich auch genieße.“

Die Arbeit hat den gebürtigen Oldenburger und seine Freundin vor einigen Jahren von Bayern zurück in den Norden geführt. Vennemann, studierter Betriebswirt, MBA in Sportmanagement, ist als Business Development Manager für einen dänischen Hersteller von Spezialbeschichtungen in Pinneberg tätig und in ganz Europa unterwegs. Das mit dem Aufwand eines Leistungsturners zu vereinbaren ist bisweilen ein Spagat, aber wenn sich einer damit auskennt, dann Jasper Vennemann. Oft schafft er es erst spätabends in die Angerstraße, wenn die Freizeitgruppen turnen. Und wenn er dann später wieder aus der Halle geht, „dann habe ich auch nicht immer ein Lächeln auf den Lippen“.

Turnen, das predigt Jasper Vennemann auch den Jungen und Mädchen, die mit ihm trainieren, ist immer sehr viel Arbeit und manchmal sehr wenig Spaß. Es verlangt ein Höchstmaß an Disziplin. Und an Geduld. „Es dauert zehn Jahre, ehe man die Früchte ernten kann“, sagt Vennemann. Wobei Früchte hier in erster Linie Ehrungen und Medaillen sind.

Kunstturnen, wie es früher einmal hieß, ist eine brotlose Kunst. Wenn Vennemann in der Bundesliga für den KTV Obere Lahn aus Hessen antritt, bekommt er 50 Euro pro Wettkampf. Andere Vereine zahlen mehr, aber nicht genug, als dass man davon leben könnte. Ein gemeinsames Trainingslager im Ausland mit den Kollegen, die zu Freunden geworden sind, das ist für Jasper Vennemann die wichtigste Entlohnung für seinen Einsatz.

Trotzdem würde er jedem Kind zu seinem Sport raten: „Es ist die beste Ausbildung, körperlich wie psychisch.“ Aber nur die wenigsten sind nach der Pubertät noch dabei. Bei den deutschen Jugendmeisterschaften in der kommenden Woche in Wernau bei Stuttgart sind erstmals seit Längerem wieder zwei Jungen aus Hamburg vertreten. Trainer Edwin Palnau (77), der auch Vennemann betreut, sieht es als Bestätigung dafür, dass er die größten Talente der Stadt in einer Auswahlmannschaft zusammengezogen hat: „Das gemeinsame Training mit den Besten bringt alle weiter.“

So hat es auch Vennemann einst empfunden, als er nach der Schule von Oldenburg nach Bremen kam und sich unter Bundesligaathleten wiederfand. Jetzt ist er der Vorturner, gibt Tipps („Gut, Louisa, Schulter vor!“), klatscht sich mit den kleinen Jungs ab, die seine Nähe suchen. Die Bedingungen könnten besser sein an der Angerstraße, es ist eng, die Geräte teils veraltet. „Aber man merkt, dass hier etwas wächst.“

Nächste Woche will sich Jasper Vennemann eine Woche Pause gönnen. Und dann? „Werde ich wiederkommen und mein Zeug machen.“