Paris. Gegen Nordirland fordert die Nation frische Kräfte – der Bundestrainer nur mehr Bewegung in der Offensive

Joachim Löw hatte einen dicken Hals. Das war zumindest die offizielle Erklärung dafür, warum sich der Bundestrainer am Vortag des letzten Gruppenspiels gegen Nordirland (18 Uhr/ARD) bei der Pressekonferenz im Prinzenpark entschuldigen ließ. Anstelle des leicht erkälteten Löw schickte die DFB-Medienabteilung Co-Trainer Thomas Schneider und Innenverteidiger Mats Hummels durch das verregnete Paris, um einen Tag vor dem Duell noch einmal die Großwetterlage rund um das deutsche Team zu erklären. Der Platz sei extrem nass, die Stimmung trotzdem gut, und von den Nordiren sei er ohnehin ein großer Fan, sagte Hummels, der zur 20-minütigen Frage-und-Antwort-Runde aber vor allem eine Kernbotschaft mitbrachte: „Natürlich ist es unser großes Ziel, Gruppensieger zu werden.“

Dabei ist natürlich auch dem Defensivspezialisten nicht entgangen, dass nach der Nullnummer gegen Polen die Kritiken an seinen Offensivkollegen verheerend ausfielen. Mario Götze? Teilnahmslos. Thomas Müller? Torlos. Mesut Özil? Lustlos. Und Julian Draxler? Wirkungslos. Die 80 Millionen Bundestrainer in der Heimat hatten ihr Urteil schnell gefällt: Frische Kräfte braucht das Land. Und der eine Bundestrainer in der Ferne? Lächelte beim Abschlusstraining schon wieder trotz seiner Erkältung. Und lobte seine etablierten Stammkräfte in den vergangenen Tagen überschwänglich, so lange es sein kratzender Hals zuließ.

Viel dürfte Kapuzenmann Löw, der sich am Nachmittag im Pariser Dauerregen mit einem weißen Cape vor dem Schmuddelwetter schützte, also auch im letzten Vorrundenspiel gegen Nordirland nicht ändern. Natürlich gebe es eine ganze Reihe von alternativen Gedankenspielen, gab Löws Assistent Schneider kurz vor dem Abschlusstraining ein wenig geheimnisvoll zu.

Aber von Deutschlands zuletzt heftig kritisierter Offensivreihe dürfte es wohl lediglich Julian Draxler erwischen. Für den Wolfsburger stünde ein anderer Wolfsburger bereit: André Schürrle. Und sonst? Vielleicht darf der bisher ganz und gar chancenlose Thomas Müller ganz vorne im Sturm beginnen, vielleicht darf der bisher mehr oder weniger chancenlose Mario Götze dafür auf die rechte oder linke Seite rücken. Mesut Özil bleibt wohl dort, wo er auch in der Kritik stand: im Zentrum. Weitere mögliche Alternativen im Sturm: Dauer-Alternative Mario Gomez. Oder vielleicht sogar Schalkes Youngster Leroy Sané? „Er macht einen sehr guten Job. Vielleicht wird er während des Turniers seine Chance bekommen“, relativierte Schneider.

Wichtiger als neue Ideen zur Besetzung ganz vorne scheint Löw aber die Umsetzung seiner bisherigen Ideen. Der Bundestrainer legte sich schon vor der Abreise nach Paris fest, auch gegen die vielbeinige Hünen-Abwehr Nordirlands auf seine bevorzugte 4-2-3-1-Taktik zu setzen. Die Überlegung einer Dreierkette, so Löw, spiele gegen Nordirland keine Rolle. Wichtiger sei es, dass sich mehr deutsche Spieler als zuletzt im gegnerischen Strafraum aufhalten sollen. Mehr Bewegung, mehr Wege in die Tiefe, mehr Variabilität – Zeit, dass sich was dreht.

Sollte das alles auch gegen die zu erwartende Betonabwehr von der Insel nicht aufgehen, hätte Löw noch immer einen letzten Joker auf der Bank: Einen Torjäger der alten Schule, der in seinem letzten Spiel gegen Nordirland gleich drei Tore erzielen konnte. „Natürlich habe ich gute Erinnerungen an dieses Spiel. Ich durfte sogar den Hattrickball behalten“, sagte Löws alternative Geheimwaffe. Die einzigen Haken: Der beschriebene Dreierpack liegt bereits 18 Jahre zurück. Und der Wunderstürmer von damals arbeitet heute als Nationalmannschaftsmanager.

„Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Spielart noch Platz finden würde in Jogis Mannschaft“, sagte Nordirland-Schreck Oliver Bierhoff.