Hamburg. Nadja Käther vom HSV springt am Sonnabend bei den deutschen Meisterschaften um Olympia – ohne den Ballast der Vergangenheit.

In ihrer Wohnung hat Nadja Käther eine Weltkarte hängen. Alle Orte, an denen sie schon war, hat sie mit Stecknadeln markiert, rote für private Reisen, gelbe überall dort, wohin sie die Leichtathletik geführt hat. Südamerika ist noch ganz frei, aber das könnte sich bald ändern. An diesem Wochenende geht es in Kassel um die deutschen Meisterschaften, und wenn alles so läuft, wie es sich Käther wünscht, dann kann sie für August eine Reise zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro einplanen.

6,70 Meter sind dafür im Weitsprung gefordert. So weit hat es die 27-Jährige vom HSV zwar noch nie gebracht. „Aber ich weiß, dass ich es draufhabe“, sagt Nadja Käther und nickt dazu. Sie hat es sogar bescheinigt bekommen. Vor zwei Wochen ist sie bei einem Wettkampf nahe dem Bodensee erst nach 6,63 Metern gelandet. Die Auswertung durch die Leistungsdiagnostik hat ergeben, dass der Sprung effektiv 6,72 Meter weit war.

Jetzt geht es im Grunde nur noch darum, das am Sonnabend (13.15 Uhr) auf die Bahn zu bringen. Es müssen ja nicht gleich 6,70 Meter sein. 6,65 Meter würden fürs Erste schon ausreichen, es wäre der Sprung zu den Europameisterschaften in Amsterdam (6. bis 10. Juli). Immer vorausgesetzt, dass nicht drei andere noch weiter springen. Womit aber fast schon zu rechnen ist.

Kaum eine andere Disziplin ist in der deutschen Leichtathletik derzeit so umkämpft wie der Weitsprung der Frauen. Drei Athletinnen haben die Olympianorm bereits erbracht, Sos­thene Moguenara aus Saarbrücken führt mit 7,16 Metern sogar die Weltrangliste an. „Schon stark, was die Mädels abliefern“, sagt Käther, „das motiviert mich in jeder Trainingseinheit.“

Eine Sportpsychologin half, die Prioritäten neu zu ordnen

Moguenara und die Berlinerin Melanie Bauschke (6,70 Meter) haben allerdings beide einen Bänderriss im Fuß erlitten, sie können weder in Kassel starten noch bei der EM. Bliebe also nur noch Alexandra Wester, die Kölnerin sprang in diesem Jahr 6,79 Meter, in der Halle sogar 6,95 Meter weit. Hält Käther sie auf Distanz, kann es klappen mit Amsterdam und sogar mit Rio. „Eine deutsche Meisterin mit erfüllter Norm ist sicher qualifiziert“, sagt ihr Trainer Uwe Florczak, der als Stabschef die Nominierung in den Sprungdisziplinen verantwortet. „Und Nadja ist eine Meisterschaftsspringerin.“

Zum Beispiel vor einem Jahr: Nach einem Zehenbruch kam Käther damals ohne Wettkampfpraxis nach Nürnberg und wurde Dritte. Diese Saison konnte sie endlich einmal wieder so vorbereiten wie geplant – wenn man einmal vom Ermüdungsbruch im Fuß absieht, den sie im Oktober erlitten hat.

Nadja Käther legt Wert darauf, dass es nicht an den Bundeswehrstiefeln gelegen hat. Die muss sie hin und wieder anziehen, nachdem sie sich im vergangenen Jahr schließlich doch noch der Sportfördergruppe in Appen angeschlossen hat. „Ich hatte mich sieben Jahre lang bewusst gegen die Bundeswehr entschieden“, sagt Käther. Nach dem Lehramtsstudium habe sie dann aber vor der Entscheidung gestanden: Schullaufbahn oder Tartanbahn. Sie entschied sich für den Sport, was „ohne die finanzielle Unterstützung der Bundeswehr nicht möglich gewesen wäre“. Die Herausforderungen abseits von Training und Wettkampf findet sie jetzt woanders: beim Kochen, das zu einer Leidenschaft geworden sei, beim Spanischlernen, beim Üben für die Trainerlizenz, beim Anleiten einer HSV-Jugendgruppe.

EM 2018? Warum nicht!

Das Referendariat kann gern warten. Käther sagt: „Das Leben, wie ich es jetzt führe, kommt ja nicht wieder. Ich will es so lange wie möglich auskosten.“ Bis zur EM 2018 in Berlin? Warum nicht! Es fängt ja gerade erst an, so richtig Spaß zu machen. Früher habe sie sich vor Wettkämpfen unter Druck gesetzt. Als sie 2012 die Olympischen Spiele in London verpasste, sei für sie „eine Welt zusammengebrochen“.

Jetzt wundere sie sich schon fast selbst, mit welch gutem Gefühl sie in eine solche Meisterschaft gehe. Aber nur fast. Manches lässt sich durchaus erklären, nicht nur mit dem Alter. Nadja Käther hat die Unterstützung der Sportpsychologin Anett Szigeti vom Olympiastützpunkt in Dulsberg in Anspruch genommen. Die Gespräche hätten ihr geholfen, die Prioritäten neu zu ordnen und den Ballast abzuwerfen. Jetzt habe sie einen Weg gefunden, den Sport zu genießen, ohne sich darüber zu definieren. „Rio ist ein Traum“, sagt Nadja Käther, „aber ich bin kein schlechterer Mensch, wenn ich es nicht zu Olympia schaffe.“