Hamburg. Die 13 Tänzerinnen von La Nouvelle Expérience aus Hamburg treten bei der Meisterschaft im Jazz- und Modern Dance an.

Bis der letzte Ton verklungen ist, halten die Tänzerinnen von La Nouvelle Expérience (LNE) ihren Körper auf Spannung. Mit hochroten Köpfen lösen sich die Mädchen aus ihrer Position und schnappen nach Luft. Das eingefrorene Lächeln, das die Leichtigkeit und Freude beim Tanzen ausdrücken soll, taut auf. Sie setzen sich in einen großen Kreis auf den kühlen Boden der stickigen Turnhalle Veermoor in Lurup. Die Sonne hat das Gebäude tagsüber so aufgeheizt, dass der Trainingsort der Hamburger Jazz- und Modern-Dance-Gruppe in den frühen Abendstunden immer noch einem Tropenhaus gleicht.

So richtig fassen können es die 13 Mädchen, Trainer Marc Bongardt und Betreuer Sebastian Lewwe immer noch nicht, dass sie Ende Mai in die Erste Bundesliga aufgestiegen sind und sich für die deutsche Meisterschaft an diesem Sonnabend in Dresden qualifiziert haben. Zu unwirklich fühlte sich der Augenblick der alles entscheidenden Urteilsverkündung beim letzten Saisonturnier in Schöningen an. „Wir waren alle so nervös“, sagt Annalena Mielke, die seit 2014 Mitglied im Team ist. „Als die Wertungsrichter die Tafeln hochhielten, wussten wir, dass es für den Aufstieg gereicht hat. Wir haben alle angefangen zu weinen“, sagt Mielke. Der Gedanke genügt, um bei der Hamburgerin erneut Gänsehaut auszulösen.

„Wir hatten am Anfang keine Ahnung“

La Nouvelle Expérience ist französisch und heißt übersetzt „eine neue Erfahrung“. „Wir hatten am Anfang keine Ahnung von dem, was wir machen. Niemand von uns kam aus der Sparte Jazz- und Modern Dance“, erklärt Bongardt (49), der zuvor 20 Jahre lang Lateinformation trainiert hat.

Umso bemerkenswerter ist es, dass die im November 2011 gegründete Tanzgruppe in den vergangenen fünf Jahren von der untersten Liga bis in die Bundesliga durchmarschiert ist. In jeder Saison sind die Hamburger als Meister in die nächsthöhere Klasse aufgestiegen. Hinter dem sportlichen Erfolg steckt harte Arbeit.

Zweimal in der Woche kommt die Tanzgruppe für zweieinhalb Stunden zusammen. Fast alle Tänzerinnen, die zwischen 20 und 38 Jahre alt sind, haben ihre Leidenschaft auch zum Beruf gemacht. Die Grenzen zum Hobby verschwimmen. Sie sind studierte Tanzpädagoginnen oder betreiben ihre eigene Tanzschule. Kaum eine hat nicht vor ihrem sechsten Lebensjahr angefangen zu tanzen.

Jeder Schritt, jede Drehung und jeder Sprung muss sitzen

Bereits das 15-minütige Aufwärmprogramm, das aus Bauch-, Bein- und Rückenübungen besteht und fester Bestandteil jedes Trainings ist, hat es in sich. Nachdem die Muskeln aufgewärmt sind, wird die einstudierte Choreografie verfeinert. Jeder Schritt, jede Drehung und jeder Sprung muss sitzen. Für die deutsche Meisterschaft gilt ein höherer Anspruch als bei den bisherigen Turnieren. Die 14 besten Teams aus ganz Deutschland treten am Sonnabend gegeneinander an. Mit „Topas“ aus Steilshoop hat sich eine weitere Hamburger Mannschaft qualifiziert.

„Wie von einer Feder“ heißt die Choreografie, in der es thematisch um das Element Luft und den Vogelflug geht. „Die natürliche, organische Bewegung eines Vogelschwarms ist faszinierend. Wir haben das als Inspiration genutzt“, sagt Anna Kriete (33), die Choreografin und Tänzerin zugleich ist. In der Tat ähnelt jede Bewegung der Mädchen einem Vogel. Sie imitieren mit den Armen einen Flügelschlag, drehen sich leichtfüßig in der Luft um die eigene Achse und fliegen mit Hebefiguren durch die Halle. Die Schlussfigur erinnert an die pyramidenförmige Formation eines Vogelschwarms. Was so leicht aussieht, ist schweißtreibende Arbeit. An den Knien einiger Tänzerinnen sind Brandwunden zu erkennen, die akrobatischen Elementen am Boden geschuldet sind. Abgeschürfte Haut und aufgeplatzte Blasen gehören zum Tanzen dazu.

Pro Saison wird nur eine Choreografie getanzt

Vier Monate hat es gedauert, um die Choreografie zu entwickeln und mit Leben zu füllen. Jedes Element ist durchdacht und mit einer Botschaft versehen. In einer Drehung von nur wenigen Sekunden steckt mühevolle Arbeit von mehreren Stunden. Erstaunlich ist, dass die Tanzgruppe mittlerweile seit fast einem Jahr bei den Turnieren zu demselben Lied dieselbe Choreografie tanzt. Pro Saison gibt es nur ein Stück. „Deswegen ist die Musikauswahl entscheidend, weil die Mädchen über einen langen Zeitraum für das Lied brennen müssen“, sagt Bongardt.

Jazz- und Modern Dance ist ein Hochleistungssport. „Wir haben nicht wie im Fußball 90 Minuten Zeit, um Fehler wieder auszubügeln. Über vier Minuten lang muss jede Einzelne von uns die Spannung im Körper halten“, sagt Kriete. Bis der letzte Ton in Dresden verklungen ist.