Évian-les-Bains. Podolski glaubt an ein schweres Spiel gegen sein Geburtsland – und springt vorab Bundestrainer Löw zur Seite

Auch unangenehme Wahrheiten brauchen einen Mutigen, der sie ausspricht. In der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist das eine Rolle, die Lukas Podolski bekleiden kann wie kaum einer seiner Kollegen. Der „ewige Kölner“ wurde am Dienstagmittag in einer etwas heiklen Angelegenheit zurate gezogen. Es ging um den Bundestrainer.

Während des zurückliegenden EM-Auftakts gegen die Ukraine war Joachim Löw von Fernsehkameras dabei gefilmt worden, wie seine rechte Hand doch sehr unversteckt vorn in seinen Hosenbund glitt, um da zu ordnen, was offenbar dringend neuer Ordnung bedurfte. Das Video geriet nicht sehr schmeichelhaft, weshalb sich in den sozialen Medien grob geschätzt zwei Lager bildeten: Es gab jene Menschen, die sich angewidert abwendeten, und jene, die sich leidenschaftlich lustig machten. In jedem Fall stand der als kultiviert geltende und für Kosmetikartikel werbende Herr Löw ein bisschen sehr unkultiviert da. Wie er denn finde, was der Trainer da draußen so während der Spiele mache, wurde also Lukas Podolski gefragt. Der 31-Jährige druckste kurz herum, dann sagte er: „80 Prozent der Männer kraulen sich doch mal an den Eiern. Das macht ihr, das mache ich.“

Gelächter. Aus einer scheinbar großen Sache mit noch größerem Empörungspotenzial hatte der weise Prinz Poldi mit nur wenigen Worten das gemacht, was es war: eine Banalität.

Es war ohnehin nicht ganz klar, womit sich der Profi von Galatasaray Istanbul den Status als Ansprechpartner in Fragen der Verhaltenspsychologie erworben hatte, sicher aber lässt sich ihm die Expertenschaft in einem anderen Thema zuweisen, das in diesen Tagen von Évian auch nicht ganz irrelevant ist: der nächste Gegner. Am kommenden Donnerstag schon steht das Duell gegen Polen an, in dem wahrscheinlich der Gruppensieg entschieden wird. Podolski ist in Polen geboren, große Teile seiner Familie und auch viele seiner Freunde wohnen dort, für die polnische Mannschaft spielt sein Kumpel Slawomir Peszko, den er aus gemeinsamen Zeiten beim 1. FC Köln kennt. „Die Polen sind der gefährlichste Gegner in dieser Gruppe“, sagt Podolski. In der EM-Qualifikation trafen die beiden Mannschaften ebenfalls schon aufein­ander, der frisch gekürte Weltmeister verlor eines der beiden Spiele mit 0:2.

„Die Polen haben einen großen Sprung gemacht in den vergangenen Jahren. Sie haben viele Profis, die bei großen Vereinen im Ausland spielen, und dazu neue, junge Spieler“, meint Podolski. In die erste Kategorie fallen die aus der Bundesliga bekannten Robert Lewandowski (Bayern) sowie die Dortmunder Lukasz Piszczek und Jakub Blaszczykowski, aber auch Grzegorz Krychowiak (FC Sevilla). Aber auch sie konnten in den vergangenen Jahren nicht verhindern, dass die polnische Mannschaft trotz hochgradiger Veranlagung die Ziele nicht erreichte. Fast traumatisch verlief die in der Vorrunde endende EM 2012 im eigenen Land. Aber zusammen mit den jüngeren Spielern wie Stürmer Arkadiusz Milik (22/Amsterdam), Bartosz Kapustka (19/Krakau) oder Piotr Zielinski (22/Empoli) scheint sich eine zukunftsträchtige Mischung gefunden zu haben. „Die Euphorie im Land ist groß“, sagt Podolski, „mit den Polen ist in Zukunft zu rechnen. Sie haben die Qualität, weiter zu kommen als nur bis ins Achtelfinale. Aber am Donnerstag wird es schwer für sie.“

Podolski selbst dürfte dafür eher nicht sorgen. Der Mann, der sein siebtes großes Turnier erlebt, wird wohl erneut auf der Bank Platz nehmen und erst mal nur zuschauen dürfen. Seine Nominierung war ja ohnehin von Zweifeln begleitet. Aber der Routinier steht bereit: „Wenn der Bundestrainer mich braucht, bin ich da.“ Das hat er am Dienstag eindrucksvoll bewiesen – im Interviewraum, nicht auf dem Platz.