Hamburg. Bakery Jatta floh aus Gambia nach Deutschland. Ein Jahr später unterschreibt er beim HSV einen Profivertrag

Die Geschichte begann mit einem Anruf bei Efe-Firat Aktas. Ein Betreuer aus der Akademie Lothar Kannenberg meldete sich vor einem halben Jahr bei dem in Bremen bekannten Spielerberater. Er müsse unbedingt nach Bothel kommen, um sich diesen Jungen anzuschauen, sagte der Mitarbeiter der Jugend- und Bildungseinrichtung im nördlichen Niedersachsen. Aktas fuhr nach Bothel und war erstaunt, als er Bakery Jatta, einen Flüchtling aus Gambia, das erste Mal beobachtete. „Ich habe gleich gesehen, dass der Junge etwas Besonderes hat“, sagt Aktas dem Abendblatt.

Heute, ein halbes Jahr später, hat Jatta, der nach eigenen Angaben noch nie in einem Verein gespielt hat, einen Profivertrag beim HSV unterschrieben. Drei Jahre Laufzeit plus Option auf Verlängerung. Es ist eine Geschichte, die unglaublich klingt. „Für mich ist es ein großes Glück, dass ich nun professionell trainieren und lernen darf“, sagte Jatta nach seiner Unterschrift im Büro von Dietmar Beiersdorfer.

Der HSV-Boss war es, der dem schnellen Stürmer Anfang Januar nach einem Gespräch mit Agent Aktas ein Probetraining bei den Profis im Volkspark ermöglichte. Trainer Bruno Labbadia war nach drei Einheiten überzeugt: „Bakery ist ein überaus interessanter Spieler, nicht wegen seiner besonderen Geschichte, sondern aufgrund seiner sportlichen Anlagen.“

Jattas außergewöhnliche Geschichte begann vor 18 Jahren und zehn Tagen. Im westafrikanischen Küstenstaat Gambia wurde er geboren, wuchs ohne Eltern auf. In einem Land, das seit einem Putsch 1994 von dem Diktator Yahya Jammeh regiert wird. Ein Mann, der foltern und morden lässt, der Homosexuelle hasst. Die lächelnde Küste Afrikas wird das kleine Land genannt. Heute ist Gambia das Land mit einer der weltweit höchsten Emigrationsquote. 3110 Gambier stellten im Jahr 2015 einen Asylantrag in Deutschland – fast zwölf Mal so viel wie noch im Jahr 2012.

Die Menschen aus Gambia fliehen vor der Diktatur über die Sahara und das Mittelmeer nach Europa. So kam auch Jatta nach Deutschland. „Ich wusste, dass ich diesen gefährlichen Weg auf mich nehmen musste, um die Chance auf eine Zukunft zu haben. Dafür habe ich viele Gefahren auf mich genommen“, sagt Jatta. Mehr möchte er nicht erzählen. „Ich möchte einfach leben. So leben, wie es die Menschen in Deutschland tun.“

Lothar Kannenberg, der den Jungen im vergangenen Jahr in seiner Akademie aufnahm, ist sich sicher, dass der HSV an Jatta viel Freude haben wird. „Obwohl Bakery nie im Verein war, hat er ein klares Spielverständnis. Er weiß genau, wie er laufen muss“, sagt Kannenberg dem Abendblatt. „Vor allem aber hat er keine Angst. Er hat viel Leid gesehen. Sein Traum hat ihn stark gemacht.“ Kannenberg erzählt, wie Jatta von der Premier League schwärmte. „Er hat immer gesagt: da will ich hin.“

Im Januar zog Jatta von der Akademie nach Bremen. Auch in Hamburg wird er nun in einer eigenen Wohnung leben. Unterstützung bekommt er von seiner Berateragentur. „Wir werden ihn jetzt alle gemeinsam und behutsam aufbauen“, sagt Efe-Firat Aktas, der am Montag die Verhandlungen mit Beiersdorfer finalisierte. Aktas lässt durchblicken, dass die Einigung nicht selbstverständlich war. Bis zuletzt wurde offenbar auch über die finanziellen Rahmenbedingungen verhandelt. Jatta soll weniger als die zuletzt kolportierten 10.000 Euro verdienen.

Doch auch wenn sein Gehalt deutlich geringer ist als das seiner neuen Mitspieler, kommen einige Fragen auf den Neu-Profi zu. Wie geht er mit dem riesigen öffentlichen Interesse um? Wie reagiert er auf sportlichen Misserfolg? Kann er sich im täglichen Leben des Fußballgeschäfts zwischen all den Millionären überhaupt sozialverträglich integrieren? All die Dinge, auf die junge Spieler in den Nachwuchsleistungszentren über Jahre vorbereitet werden, muss Jatta noch lernen. Kann das gut gehen? „Wir werden ihm alle Unterstützung geben, um sich sportlich und sozial in Hamburg und beim HSV einzubringen“, sagt Beiersdorfer.

Jatta trainierte zuletzt bei einem Fünftligisten in Bremen

Jatta selbst will von all diesen Fragen gar nichts wissen. Er will einfach nur Fußball spielen. „Ich will den besten Baka aus mir machen und für viele Menschen ein Vorbild zu sein“, sagt der Gambier, der am 27. Juni mit dem HSV in die Vorbereitung startet. Das vergangene halbe Jahr hat er beim Fünftligisten Bremer SV trainiert. Nun kann seine außergewöhnliche Reise weitergehen. „Er kann jetzt seinen Traum leben“, sagt Aktas. „Wenn du ihm in die Augen schaust, dann siehst du, welche Geschichte er hinter sich hat. Und welche er jetzt vor sich hat.“

Die Geschichte des Flüchtlings, der ein Fußballprofi wurde, sie fängt schließlich gerade erst an.