Die biologische Uhr im Fußball auf diesem hohen Niveau tickt unerbittlich. Dennoch war die Nominierung richtig

Die Bilder von Bastian Schweinsteiger aus dem WM-Finale 2014 gegen Argentinien sind unvergessen. Es war imponierend, wie Schweinsteiger trotz seiner Krämpfe und einer tiefen Wunde unter dem rechten Auge die Mannschaft in der Verlängerung mitriss. Damals war Schweinsteiger angeschlagen ins Turnier gegangen. Und auch jetzt ist unser Kapitän nach seiner Knieverletzung beim Start der EM noch lange nicht bei hundert Prozent seines Leistungsvermögens.

Kann er dennoch in Frankreich wieder zum alles entscheidenden Spieler werden? Ich bin skeptisch. Bastian sagt zwar, dass er sich fitter fühlt als vor der WM. Aber er ist zwei Jahre älter geworden. Und die biologische Uhr tickt auf diesem Niveau inzwischen unerbittlich. Zugegeben, es gibt Ausnahmen wie Zlatan Ibrahimovic, der auch mit 34 Jahren noch auf Weltklasseniveau spielt. Aber diese Ausnahmen bestätigen die Regel. Der Fußball ist noch athletischer geworden. Und über 30 brauchst du nach Spielen viel länger, um wieder zu regenerieren.

Löws Entscheidung für Schweinsteiger ist dennoch richtig. Gerade in einem solchen Turnier brauchst du erfahrene Spieler. Zwar hat selbst der nachnominierte Jonathan Tah mit seinen gerade 20 Jahren schon Champions-League-Erfahrung mit seinem Verein Bayer Leverkusen. Dennoch wird er sich in Frankreich auf für ihn völlig ungewohntes Terrain begeben. Mehrere Wochen lebst du mit lauter Top-Leuten zusammen, musst lernen, dich in eine Gemeinschaft einzuordnen. Zudem kann bei einer WM oder EM ein einziger persönlicher Fehler das unmittelbare Aus bedeuten. Es gibt kein Rückspiel wie in der Champions League.

Ich weiß noch, wie das bei mir bei der Europameisterschaft 1992, meinem ersten großen Turnier, war. Im Halbfinale in Stockholm habe ich damals gegen Schweden einen Elfmeter verursacht, der zum Anschlusstreffer der Heimmannschaft zum 1:2 führte – unser Finaltraum war durch meinen Patzer in akute Gefahr geraten. In einer solchen Krisensituation war es wichtig, dass ich erfahrene Spieler wie Jürgen Kohler oder Guido Buchwald an meiner Seite wusste. Sie haben mich wieder aufgebaut. Und prompt habe ich dann in der 89. Minute das 3:1 durch einen Pass auf Karl-Heinz Riedle vorbereitet.

Mich hat der Adler auf der Brust immer besonders motiviert. Ich war stolz, dass ich dabei sein durfte. Ich wusste, jetzt stehen alle deutschen Fans hinter dir, wenn du für einen Verein spielst, hast du ja immer genügend Gegner. Doch dieser besondere Erwartungsdruck kann gerade jüngere Spieler auch lähmen.

Die Frage der Kapitänsbinde selbst wird in der Nationalmannschaft dagegen überschätzt. Das ist im Verein anders. In meinen zwei Jahren als Kapitän des FC Bayern wusste ich, dass es genügend Kollegen gibt, die auch gern dieses Amt hätten. Du musst Leistung bringen, in jedem Spiel, um die Rolle des Spielführers zu verteidigen. In der Nationalmannschaft kommt es eher auf eine gesunde Struktur an, auf echte Leader, die Joachim Löw mit Spielern wie Manuel Neuer, Jerome Boateng oder Sami Khedira zum Glück zur Genüge hat. Deshalb ist der Druck auf Schweinsteiger nicht so groß, Deutschland hat genügend Qualität, um auch ohne ihn Europameister werden zu können.

Auch eine Reservistenrolle würde Schweinsteigers Position als Führungsspieler nicht gefährden. Dafür ist sein Ansehen in der Mannschaft zu stark. Er ist zwar kein Lautsprecher, aber im Team dennoch respektiert. Ohnehin gehört die Zeit der Alphatiere wie Jürgen Klinsmann, Lothar Matthäus oder Michael Ballack, die als Kapitäne mit manchen Äußerungen für Schlagzeilen sorgten, der Vergangenheit an. Dies ist von Löw einfach nicht mehr gewünscht.