Évian-les-Bains. Der Kölner Linksverteidiger genießt das Vertrauen von Bundestrainer Löw und spürt doch eine besondere Aufregung vor dem ersten Spiel

    Es lässt sich nicht leugnen, dass der Mann nervös ist. Jonas Hector rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Das helle Licht der Öffentlichkeit behagt ihm nicht sonderlich, aber es ist nun auf ihn gerichtet. „Man merkt, dass so ein großes Turnier dann doch noch mal etwas anderes ist. Ich muss zugeben, dass ich positiv aufgeregt bin. Für mich ist das eine ganz neue Erfahrung“, sagt der Profi des 1. FC Köln. Aber das Gefühl kennt er ja schon, dass ihm Dinge widerfahren, von denen er vor gar nicht allzu langer Zeit nicht einmal zu träumen wagte.

    Der 26-Jährige hat nie eine der teuren Fußball-Akademien der großen Clubs von innen gesehen, in denen für Talente Profikarrieren entworfen werden. Hector kickte immer gern in seiner saarländischen Heimat, schoss im offensiven Mittelfeld Tor um Tor und stieg als 20-Jähriger noch mit dem SV Auersmacher in die Oberliga auf. Zur Feier des Tages gab es einen Umzug durchs Dorf „mit Freibier und Blaskapelle“, wie der „Spiegel“ in einer großen Geschichte vergnügt festhielt. Genau das war die Zeit, als Jonas Hector zu glauben begann, dass vielleicht doch eine große Karriere möglich wäre. Er landete im Sommer 2010 in der zweiten Mannschaft des FC, Regionalliga West. Zu den Profis stieß er zwei Jahre später, Zweitliga-Debüt kurz danach, Bundes­liga-Premiere 2014 und dann schon – im November – ereilte ihn der Ruf der Nationalmannschaft.

    Jetzt ist er tatsächlich in Frankreich, die Europameisterschaft wird an diesem Freitag eröffnet, und wenn Deutschland am Sonntag das erste Mal spielt, wird Hector in der Startelf stehen. Er ist die Besetzung auf einem Teil des Spielfelds, für den Bundestrainer Joachim Löw das Personal seit Jahren fehlt: die Seiten in der Abwehr. Jahrelang trachtete er nach linken Mitarbeitern, weil sich rechts Philipp Lahm stets als Mitarbeiter der Woche qualifizierte. Doch der einstige Kapitän trat nach dem WM-Triumph zurück und hinterließ einen freien Platz. Nun hat Löw also die Lösung links vor rechts – und sucht nach einer tragfähigen Besetzung für die andere Seite. Und wann immer in der Abwehr eine Stelle ausgeschrieben ist, hat sich Benedikt Höwedes längst beworben.

    Als Linksverteidiger machte er bei der WM 2014 alle sieben Spiele. Hector tritt nun sein Erbe an, aber der Schalker Kapitän ist so vielseitig, dass es für ihn mindestens im ersten Spiel gegen die Ukraine am Sonntag (21 Uhr) ein freies Plätzchen geben wird. Entweder als defensivere Variante eines Rechtsverteidigers oder aber als Innenverteidiger. „Ich werde die Position einnehmen, die der Trainer von mir verlangt. Das Beste ist, dass man die Aufgaben positiv angeht und sagt: Ich kann das“, meint Höwedes. Hector und Höwedes – der eine auf dem zweiten Bildungsweg zum Profi geworden, der andere anpassungsfähig wie ein Chamäleon. Sie könnten in Lille Löws Außendienstler sein.