Berlin. Erik Heil und Thomas Plößel vom Norddeutschen Regatta-Verein peilen bei Olympia in Rio einen Spitzenplatz an. Ihr Hang zum Extremen soll dabei helfen

    Am Montagabend saß die Segelnationalmannschaft gemütlich beisammen im Ehrfurcht einflößenden Verein Seglerhaus am Wannsee, man plauderte über dies und das und freute sich gemeinsam auf die Olympischen Spiele in Rio, aber irgendwann wurde es Erik Heil doch langweilig. Es war ja schon seit Stunden nichts Aufregendes mehr passiert. Warum also nicht mal eben zum Wakeboarden, wo die Anlage doch nur wenige Minuten entfernt ist? Klar, dass Thomas Plößel sofort dabei war. Mit Karacho über die Wellen brettern, das ist schließlich auch sein Ding, auf dem Wakeboard, dem Kiteboard, dem Surfboard, egal. Je mehr Wind, desto besser.

    „Extrovertierte Adrenalinjunkies“ seien sie, heißt es im Porträt des Audi Sailing Team Germany (STG) über das 49er-Gespann des Norddeutschen Regatta-Vereins. „Wirken wir so?“, fragt Heil, und setzt ein Lächeln auf. Aber er weiß ja, woher es kommt: „Wir waren immer schon Typen, die gern beim monströsesten Ultrahack aufs Wasser gehen und nicht bei wenig Wind.“

    Heil, 26, der Steuermann, und sein Vorschoter Plößel, 28, sind als einzige der deutschen Olympiasegler mit Red-Bull-Basecap zum Medientag des STG am Wannsee erschienen. Die beiden Berliner verkörpern ziemlich genau das Profil, das der Brausegigant von seinen Werbeträgern erwartet: jung, erfolgreich, risikofreudig, ein bisschen gegen den Strich gebürstet, immer für einen lockeren Spruch, eine verrückte Aktion zu haben. Wakeboarden zum Beispiel, gern auch während einer Regatta. Oder einfach mal, wie Plößel es ausdrückt, „blöde Videos drehen: Wir haben viel Faxen mit dem Boot gemacht und auch mal über den Tellerrand geschaut.“ Das mag man nun als Masche abtun. Plößel glaubt, dass es eine Stärke ist: „Wir haben so ein paar Dinge über das Boot gelernt, die man mit normalem Segeln nicht mitbekommt. Ein paar unserer Manöver sind so entstanden.“

    Mindestens 335 Tage im Jahr sind Heil und Plößel zusammen auf den Weltmeeren unterwegs. Es ist ein Leben, von dem Heil sagt, „dass uns unsere Freunde, die gerade mit dem Studium fertig sind und in den Beruf einsteigen, darum beneiden“. Seit 15 Jahren nun schon sitzt er mit Plößel in einem Boot, zunächst im Teeny, später im 420er und 470er, bevor sie schließlich 2007 in den 49er­ umstiegen, eine ebenso sensible wie schnelle Jolle, die einen bereits bei drei Windstärken ins Trapez zwingt. Ihrem Heimatclub waren sie bald entwachsen: „Der Tegeler SC ist mit uns irgendwann an seine Grenzen gestoßen“, sagt Heil, „denn wir wollten unbedingt olympisch segeln.“ Und weil in Berlin nach einem Todesfall die 49er nicht gefördert wurden, wechselten sie zum NRV und zogen nach Kiel.

    Der Hamburger Traditionsclub ist einer der vielen Förderer, die es heutzutage braucht, um eine olympische Kampagne zu segeln, wenn man nicht gerade in ein reiches Elternhaus geboren wurde. Hinzu kommen die Zuwendungen von Verband, STG, Sponsoren und Team Hamburg. Eine Million Euro, schätzt Plößel, könne man in vier Jahren gut und gern in den Sport investieren, für Ausrüstung, Reisen, Trainer. Heil und er versuchen mit deutlich weniger auszukommen.

    Bei ihren Zielen für Rio aber haben sie keine Abstriche gemacht. Die Adresse ihrer Webseite lässt keinen Zweifel zu: Gold2016.de. Das ist vielleicht ein wenig vermessen, wenn man um die Überlegenheit weiß, mit der Peter Burling/Blair Tuke seit den Spielen 2012 in London dominiert haben. Trainer Rein hat noch keine schlüssige Erklärung für den Geschwindigkeitsvorteil der beiden Neuseeländer gefunden. „Aber was wir wissen, ist, dass wir nicht mit dem Ziel Silber oder Bronze antreten.“

    Warum falsche Bescheidenheit? Vor zwei Jahren sind Heil/Plößel immerhin Europameister geworden, sie haben schon die Kieler Woche gewonnen, den Weltcup vor Mallorca auch. Und sie haben sich in einer dramatischen Olympia-Ausscheidung gegen Justus Schmidt und Max Boehme durchgesetzt, ihre Kieler Trainingspartner, Freunde und EM-Thronfolger. Rein sagt: „Dass sie diese Drucksituation gemeistert haben, bringt sie sicherlich weiter.“

    Zwei Starts sind bis zu den Spielen noch geplant: einer bei der Kieler Woche (18. bis 26. Juni), einer bei einer Trainingsregatta Mitte Juli im Olympiarevier von Rio, das sie bereits fünfmal erkundet haben. „Rio ist als Leichtwindrevier verschrien“, sagt Heil, „aber wir haben es ganz anders erlebt: sehr komplex, viel Strom, variierende Windverhältnisse. Da kann alles passieren.“ Schon weil man nie weiß, was in dem stark verschmutzten Gewässer an Gefahren angeschwommen kommt. Die sichtbaren sind das eine: Holz, Plastikmüll, sogar tote Tiere wurden gesichtet. Heil sieht das nicht als Problem, im Gegenteil: „Man kann es auch als taktisches Mittel nutzen, speziell die Stromkanten, wo sich das Treibgut anhäuft.“

    Und dann gibt es da noch die unsichtbaren Gefahren. Heil hat sich im Herbst eine böse bakterielle Infektion an Beinen und Hüfte eingefangen. Aber mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen sollte sich das nicht wiederholen: morgens eine Nasendusche, nach dem Rennen das Gesicht abspülen, um die Keimkonzentration zu verringern, Spritzwasser sofort ausspucken. Plößel versucht auch das positiv zu sehen: „Es riecht ein bisschen wie der Tegeler See. Ich stelle mir einfach vor, das ist mein Heimatrevier.“ Dort also, wo das olympische Projekt begonnen hat.

    Es wird nicht das letzte gemeinsame Abenteuer der beiden bleiben. Vielleicht aber das letzte olympische. Erst am Sonntag ist er mit einem Flying Phantom unterwegs gewesen, einem Katamaran, der bereits bei sechs Knoten abhebt, „das war so der Hammer“. Natürlich würde ihn auch der America’s Cup reizen. Aber erst, seit mit spektakulären Riesenkatamaranen gesegelt wird. Genau das Richtige für einen wie Heil: „Auf diese fliegenden Boote habe ich richtig Bock bekommen.“