Ascona. Bastian Schweinsteiger scheint rechtzeitig zur EM wieder fit zu werden. Das weckt Erinnerungen an den WM-Sieg

    Die Scheiben sind verdunkelt. Selbst im Vorbeifahren soll offenbar nicht erkennbar sein, wer genau sich in den schwarzen Mini-Vans befindet, die die prominenten Passagiere durch das mondäne Städtchen transportieren. Die Wagenkolonne kommt am Fußballstadion in Ascona zum Stehen. Es ist der Auftritt der deutschen Nationalspieler, die sich am Mittwoch zur ersten echten Trainingseinheit am Fuße der Berge einfinden. Unter dem wohlwollenden Raunen der Fans am Eingang entsteigt auch Bastian Schweinsteiger einem der Gefährte. Er ist zurück. Ist er?

    Schweinsteiger trainiert an diesem Vormittag, abseits der Mannschaft, aber er trainiert. Das ist wichtig für Fußball-Deutschland, denn die Zeit hat wieder begonnen, in der medizinische Gutachten über Sportler zu einer nationalen Angelegenheit werden. In etwas mehr als zwei Wochen beginnt die Europameisterschaft in Frankreich (10. Juni bis 10. Juli). Und Schweinsteiger, 31, findet sich derzeit in einer Rolle wieder, die er kennt, die er beherrscht. Er kämpft, kämpft darum, dabei zu sein bei diesem Turnier. Nicht nur als Chefstratege, sondern erstmals auch als Kapitän. Sein Körper stellte sich ihm aber in den Weg. Mal wieder.

    Nach dem Training nimmt Schweinsteiger unweit des Platzes in einem riesigen weißen Zelt Platz, das der Deutsche Fußball-Bund errichtet hat, damit die Nachrichten rund um die Mannschaft in die Welt verbreitet werden können. Das Zelt steht am Ende des Rollfelds des früheren Militärflughafens. Gras wuchert durch den Asphalt. Die letzte Mission, die hier an Höhe gewann, liegt 20 Jahre zurück. Das soll sich ändern. „Es geht mir gut“, sagt Schweinsteiger. Die Haare sind streng gescheitelt und an den Schläfen grau, der Blick wirkt entschlossen.

    Innenbandriss im rechten Knie im Januar, Innenbandriss im rechten Knie im März: Für Manchester United hat Schweinsteiger nur eine Handvoll Spiele in diesem Jahr gemacht. Das letzte vor mehr als zwei Monaten gegen Manchester City. Seither: Schmerzen, Aufbautraining. Und Hoffen, dass es noch reicht. Bis an den glitzernden Lago Maggiore ins Tessin in den Kreis der Kollegen hat er es schon mal geschafft.

    Bis zu dreimal täglich trainierte der Mann, der mal „Schweini“ war, in den vergangenen Wochen. Eine Untersuchung am Montag in München räumte dann größere Sorgen erst mal aus der Welt: alles verheilt im Knie, alles gut, alles im Plan. „Ich bin glücklich, hier zu sein“, sagt Schweinsteiger: „Manchmal ist es schwer, so eine neuerliche Verletzung zu akzeptieren, aber ich kann damit umgehen. Für mich gibt es das Wort aufgeben nicht.“

    Dass das keine leeren Worte sind, hat sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt. In den Wochen vor der WM 2014 schmerzte das linke Knie. Doch er kämpfte sich heran, und Bundestrainer Joachim Löw wartete geduldig auf einen seiner treuesten Mitarbeiter des vergangenen Jahrzehnts, einen, der in München bei den Bayern schon als „Chefchen“ verlacht wurde, weil er sich angeblich in wichtigen Spielen wegduckte. Erst im Laufe des Turniers fand Schweinsteiger Fitness und Form. Im Finale von Rio verwandelte er sich in einen Gladiator, an dem die argentinischen Angriffe zerschellten. „In Brasilien“, sagt Schweinsteiger, „war ich in einem noch schlechteren Zustand.“

    Löw weiß seither, dass es sich lohnt zu warten. Schweinsteiger ist seine Königspersonalie. Mit ihm hält er die Wahrscheinlichkeit, den Titel zu holen, für deutlich höher, weil dieser das Spiel in der Zentrale ordnet, wenn Chaos auszubrechen droht. Auf ihn will der Bundestrainer nicht verzichten, nicht in den großen Spielen. Und die großen Spiele kommen später im Turnier. Das verschafft dem Vorhaben Zeit. „Das ist ein langes Turnier nach einer harten Saison. Da muss ich entscheiden, wer gegen welchen Gegner spielt“, sagt Löw. Frei übersetzt: Schweinsteiger kann auch später noch wichtig werden.

    „Ich habe einen Plan für mich, und den befolge ich Stunde für Stunde“, sagt Schweinsteiger. Dieser Plan sieht einen Einstieg ins Mannschaftstraining gegen Ende der Woche vor. Spätestens am Dienstag muss Joachim Löw seinen 23 Profis umfassenden Kader für die EM nominieren. Schweinsteiger wird dabei sein, auch wenn letzte Zweifel erlaubt sind. Er sagt: „Das Gute ist, dass ich in meiner Karriere schwierige Situationen immer so habe meistern könne, dass wir doch erfolgreich waren.“ Der Kapitän scheint zurück zu sein.