Hamburg. Vor genau zwei Jahren stimmten die Mitglieder für die Ausgliederung der Fußballabteilung. Welche Ziele konnte der Club umsetzen? Eine Zwischenbilanz

    Karl Gernandt und Ernst-Otto Rieckhoff lagen sich in den Armen, als das Ergebnis der Abstimmung verlesen wurde. 86,9 Prozent der 9242 stimmberechtigten Mitglieder hatten sich soeben in der HSV-Arena für die Ausgliederung der Fußballabteilung entschieden. Und während sich Rieckhoff, der Initiator der Reformbewegung HSVPlus, in den Hintergrund bewegte, ließ sich Gernandt als angehender Aufsichtsratschef der neuen HSV Fußball AG auf dem Podium feiern. „Dieses Votum ist die Startlinie, um den Verein wieder in eine erfolgreiche Zeit zu führen“, rief Gernandt den Mitgliedern entgegen. Der 25. Mai 2014 sollte einen Wendepunkt in der Geschichte des HSV markieren.

    Auf den Tag genau zwei Jahre ist dieser Moment jetzt her. Zeit, um eine Zwischenbilanz zu ziehen, die der Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer heute mit folgenden Worten beschreibt: „Nehme ich unseren HSV aus dem Sommer 2014 und vergleiche ihn mit dem Zustand 2016, erkenne ich Fortschritte. Viele sogar“, sagt Beiersdorfer. Welche Fortschritte das sind, soll an dieser Stelle analysiert werden.

    Wurden die sportlichen Ziele von HSVPlus umgesetzt? Thomas von Heesen, der gemeinsam mit Ditmar Jakobs und Holger Hieronymus für das Konzept geworben hatte und zunächst als stellvertretender Aufsichtsratschef in der AG tätig sein sollte, beschrieb die Idee wie folgt: „Wir müssen eine eigene sportliche Philosophie entwickeln, nach der sich der Trainer zu richten hat. Nicht umgekehrt.“ Eine Idee, die der Realität nicht entsprechen sollte. Vier Trainer in zwei Jahren verfolgten ihre eigene Spielphilosophie, sofern sie überhaupt eine hatten. Mit Bruno Labbadia konnte der HSV in dieser Saison zumindest erstmals wieder Konstanz auf dem Cheftrainerposten finden. Mit 41 Punkten schaffte Labbadia die beste Ausbeute seit 2012/13 (48 Punkte).

    Konnte die AG die Finanzprobleme lösen? Nein. Wichtigstes Ziel der Ausgliederung war es, den HSV mithilfe strategischer Partner zu entschulden. Dafür darf der Club laut Satzung 24,9 Prozent seiner Anteile verkaufen. Mit Klaus-Michael Kühne (elf Prozent), Helmut Bohnhorst (1,5), der Familie Burmeister (1,5) sowie dem kürzlich verstorbenen Alexander Margaritoff (0,75/siehe Seite 7) konnte der Aufsichtsrat in zwei Jahren vier „Herzblutinvestoren“ gewinnen, wie sie Chefkontrolleur Gernandt bezeichnet. 38 Millionen Euro Eigenkapital hat der HSV dadurch eingenommen. Die Gesamtschulden des Vereins betragen jedoch noch immer 90 Millionen Euro. Dank eines weiteren Darlehens von Investor Kühne konnte der HSV zumindest die Stadionschulden von 25 Millionen Euro bei den Banken ablösen. Das Kapital des Clubs liegt laut Handelsregister derzeit bei 4,086 Millionen Euro. Ein strategischer Partner ist zwei Jahre nach der Ausgliederung nicht in Sicht. „Um unsere Liquidität langfristig sicher zu stellen, braucht die AG finanzstarke Partner. Alleine schaffen wir das nicht“, sagte Gernandt im Januar. Er sprach von einem „realistischen Zeitraum von drei Jahren“. Viel Zeit bleibt dem HSV somit nicht mehr.

    Dass sich die Finanzprobleme seit der Ausgliederung verschärft haben, liegt primär an den hohen Investitionen in die Mannschaft, die den erhofften sportlichen Erfolg nicht erbracht haben. Mehr als 50 Millionen Euro steckte der HSV in zwei Jahren in den Profikader. Der Gesamtwert des Teams sank bei Transfermarkt.de in dieser Zeit auf nur noch 58,55 Millionen Euro.

    Zumindest erhöht der HSV durch den jüngsten Sprung auf Platz zehn die Einnahmen aus dem TV-Topf um 3,4 Millionen Euro auf 27,65 Millionen Euro. „Wir erreichen eine finanzielle Gesundung nur, wenn die Investitionen in die Mannschaft Erfolg haben“, sagte Gernandt. Dafür will Investor Kühne in diesem Sommer bis zu 50 Millionen Euro bereitstellen.

    Wie verläuft die versprochene Nachwuchsförderung? Das formulierte Ziel von HSVPlus war die Entwicklung von Talenten und deren Einbau im Profikader. „Wir wollen in drei Jahren eine solide Mannschaft mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs haben“, sagte Gernandt im Sommer 2014. Auch im Unternehmensleitbild wurde dieser Vorsatz verankert. Faktisch verfügte der HSV zuletzt über die im Schnitt älteste Startelf der Liga. Die große Hoffnung ist das neue Nachwuchsleistungszentrum, der HSV-Campus, der dank der Zehn-Millionen-Euro-Spende von Unternehmer Alexander Otto neben dem Volksparkstadion gebaut wird und im Frühjahr 2017 eröffnen soll.

    Sportdirektor Bernhard Peters, den Beiersdorfer nach der Ausgliederung zum HSV holte, investierte viel Geld in neue Strukturen: Nachwuchsscouting, Trainercoaching, Kinderperspektivtraining, die neue U21. Der Verein konnte die Zahl der Jugendnationalspieler von acht auf zehn erhöhen. Aufgefallen ist Peters aber vor allem dadurch, dass in nahezu allen U-Teams die Trainer ausgetauscht wurden.

    Wie hat sich die Ausgliederung auf den e. V. und die Mitglieder ausgewirkt? Mit der Wahl für HSVPlus haben sich die Mitglieder bewusst gegen eine starke Mitbestimmung entschieden. Das Interesse am Gesamtverein wurde im Januar deutlich, als nur 309 Stimmberechtigte zur Versammlung kamen. Der befürchtete Mitgliederschwund blieb jedoch aus. Vor Kurzem vermeldete der HSV sein 75.000. Mitglied. Im abgelaufenen Geschäftsjahr machte der e. V. ein Plus von 165.000 Euro.

    Zufrieden dürften die Mitglieder auch damit sein, dass die internen Grabenkämpfe zumindest in der Außendarstellung des Aufsichtsrats deutlich minimiert wurden. „Unsere Meinung stellt Einigkeit dar“, sagte Gernandt. Der Vorstand ist durch die Ausgliederung handlungsfähiger, die Kontrolle durch den kleineren Aufsichtsrat allerdings auch geringer geworden.

    Und HSVPlus-Initiator Rieckhoff? Der hält die Ausgliederung zwei Jahre später zwar für einen Fortschritt. In der Umsetzung seien aber große Fehler passiert. Seinen einstigen Mitstreiter Gernandt hatte er schon vor einem Jahr heftig attackiert, weil Investor Kühne seine AG-Anteile für einen zu geringen Preis erstanden und der HSV sich nicht wie erhofft entschuldet habe. Diese Meinung gelte noch heute. In den Armen liegen werden sich Rieckhoff und Gernandt so schnell nicht wieder.