Uthlede. Hausbesuch auf dem Privatgelände von Volker Wulff in Uthlede, von wo aus das Deutsche Springderby in Klein Flottbek organisiert wird.

Für einen, der beruflich mit Hindernissen und großen Sprüngen zu tun hat, sind 2,56 Meter nicht viel. Präzise so hoch ist die Warft, auf der sich Volker Wulff sein Haus gebaut hat. Sonst nur wunderbar plattes Land, so weit das Auge reicht. Vom Korbstuhl auf der Terrasse aus kann der Derbychef die Unterweser sehen, einen Leuchtturm, gelegentlich Schiffe, den Kirchturm von Brake. Kein schöner Land in dieser Frühlingszeit als das 996-Seelen-Dorf Uthlede bei Hagen im Landkreis Cuxhaven. Bis zur Bremer Innenstadt sind es 35 Kilometer.

Preisgeld überspringt erstmals die Millionenhürde

Wichtig für Wulff: Die Autobahn 27 ist nur drei Kilometer entfernt von seinem Domizil. Nach Klein Flottbek sind es 150 Kilometer, via A 1 bequem in eineinhalb Stunden zu erreichen. Denn im Westen Hamburgs organisiert der di­plo­mierte Agrarwissenschaftler seit der Jahrtausendwende das Derby. Mit dem professionellen Team seiner Vermarktungsagentur En Garde, die zur Hälfte ihm und zur anderen Pferdeunternehmer Paul Schockemöhle gehört, formte er aus einer biederen Veranstaltung binnen 15 Jahren ein Ereignis von Weltformat – was an diesem Wochenende erneut zu beweisen ist. Das Preisgeld des Pferdefestivals überspringt erstmals die Millionenhürde.

Volker Wulff bedient die Kaffeemaschine in seiner Küche. Parallel gönnt er Jack Russell Elmo ein Bad im Spülbecken. Der agile Racker hat draußen im Moor getobt. Elmos vierbeiniger Kumpel Gustav guckt interessiert zu. Er ist sauber geblieben. Das Wohnzimmer ist großzügig und hell eingerichtet. Im Winter steht ein Kamin zur Verfügung. Durch große Fenster ist der liebevoll arrangierte Garten zu erkennen, das Werk von Wulffs Ehefrau Andrea. Sie arbeitet heute im Büro. Beide sind seit 1999 zusammen und seit 2009 verheiratet. Die zwölfjährige Tochter Paulina weilt in der Schule.

Pferde, Gold und Bogenschießen

Ungewohnte Gelegenheit mithin, vor den turbulenten Tagen in Flottbek zwei Mußestunden einzulegen. Der Derbychef nimmt im vorderen Teil des 7000 Quadratmeter großen Gartens Platz. Dabei hat er sein Reich im Blick: ein Biotop mit kleinem Teich, sumpfigen Wiesen, Birken und Weiden. Auch Waldkäuze nisten hier. Nebenan haben die Wulffs ein Holzhaus auf Stelzen errichtet. Neben der Tür hängt ein Vogelhäuschen, grün-weiß angemalt und mit dem Logo des SV Werder versehen. Neben Pferden, der Natur, Golf und Bogenschießen gehört der Bremer Traditionsverein zu seinen Leidenschaften.

An einem solchen Ort, auf heimischer Scholle, lässt sich’s vortrefflich leben. Und Kraft schöpfen für den stressigen Job als Organisator großer Sportevents. Etwa 200 Tage im Jahr lebt Wulff in Uthlede, rund 150 Tage ist er auf Achse – national und weltweit. En Garde managte oder managt nicht nur das Derby in Hamburg, sondern auch Weltklasseturniere in Leipzig, München, Kuala Lumpur oder Abu Dhabi. Neuerdings ist man auch in China groß im Geschäft. Insgesamt besuchen jährlich 350.000 Zuschauer Wulffs Turniere; 2015 betrug der Umsatz rund zehn Millionen Euro. Und das vom Dörfchen Uthlede aus. Muss man erst mal schaffen.

Der Traum von einer Rinderzucht in Südamerika

Dies erstaunt umso mehr, da Volker Wulff ursprünglich ganz anders geplant hatte. Seine Idee: Das Studium in Göttingen abschließen und dann auswandern. Eine Rinderzucht in Südamerika, das war sein Traum. Bis ihn ein verregneter, dunkelgrauer Wintertag Anfang 1984 zum Umsatteln brachte. Quasi als Flucht vor dem Wetter schloss er sich seinem Kommilitonen Georg beim Besuch einer Vorlesung an. Dozent war der Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Eher nebenbei erzählte dieser von einem Spezialjob: Gesucht wurde eine Person, die neun Pferde nach Korea begleiten und dort vier Wochen betreuen sollte. Unternehmer Chan Hwang Bae, heute ein enger Freund Wulffs, wollte die Springreitpferde auf Olympia 1988 in Seoul vorbereiten lassen.

Irgendwie schaffte es der plietsche Niedersache, den Auftrag zu bekommen: Zwar nicht ab nach Südamerika, dafür nach Asien. Denn daheim in Uthlede, das stand früh fest, wollte er keinesfalls bleiben. „Mir war es zu eng hier“, sagt er rückblickend. Als ältestes von vier Kindern sollte er den elterlichen Hof übernehmen. Die Familie mit Stammbaum bis 1483 führte einen gut laufenden Milchbetrieb, pflegte Ackerbau, hielt Kühe und Schweine. Nein, das war nicht seine Vorstellung von spannendem Leben.

„Und jetzt bin ich wieder zurück“, sinniert der heute 59-Jährige mit Blick auf das platte Land, „erdverwachsener denn je.“ Natürlich war er bei der 900-Jahr-Feier seines Heimatdorfes vor drei Jahren dabei. Der silberne Widderkopf im Wappen besagt eine Menge über den Charakter der Menschen hier. Volker Wulffs Bruder ist als Vorsitzender des lokalen Heimatvereins aktiv. Er selber engagiert sich mit 13 Mitstreitern im Kulturverein. Über Himmelfahrt lud er die Jungs zum Derby nach Klein Flottbek. Sonst tagen die feierfreudigen Herrschaften im Gasthaus „Würger“ um die Ecke in Uthlede. Wie man sich das so vorstellt: Hausmannskost, Fassbier, Köm, Tanzsaal.

Ohnehin schätzt Wulff die kurzen Wege im Dorf. Privatgrundstück, Haus mit Sitz der Agentur und Familienhof liegen dicht beieinander. Oft pendelt der Firmenchef mit dem Fahrrad. Auf dem Weg zum Stall erzählt Wulff, wie er zu seinem ersten Pferd kam. Dieser weitere Schlüsselmoment ereignete sich nach der Konfirmation 1970. Die Geschenke ergaben unterm Strich 1400 D-Mark. Eigentlich wollte sich Volker ein Moped kaufen, letztlich begnügte er sich mit einer Pferdestärke. Vater Heinz-Ludwig und Opa Wilhelm spendierten jeweils nochmal die gleiche Summe, um dem Jungen in den Sattel zu helfen. Für 5000 Mark wurde die Stute Lady gekauft. Ein Ergebnis der späteren Zucht steht in Wulffs Stall: die Jährlingsstute Sassiccaia, in vierter Generation von Lady abstammend.

Idylle pur auf dem Familienhof

Und wie, Herr Wulff, brachten Sie den Mumm auf, eine eigene Firma zu gründen und als anfänglicher Außenseiter im großen Springreitsport mitzumischen? Der Angesprochene zuckt mit den Schultern. Großes Aufheben um die eigene Person mag er gar nicht. Ohne Risikobereitschaft und Bankkredite ging das nicht, sagt er schließlich. „Ich war der Bauernjunge aus Uthlede“, fügt er hinzu. In der Tat war die Überraschung nicht nur in Hamburg groß, als der Norddeutsche und Flottbeker Reiterverein der weitgehend unbekannten Firma En Garde im Jahr 2000 den Derby-Zuschlag erteilte. Auch dieser Mut hat sich bezahlt gemacht. So und so, für beide Seiten. Der Vertrag läuft noch bis 2024.

Mittlerweile ist der Familienhof der Wulffs erreicht: Rotklinkerhäuser, Reet, Koppeln, jede Menge Grün. Wulff öffnet den Stall. Lautes Wiehern ist die Antwort. Als Belohnung gibt es Streicheleinheiten und Heu. Vis-à-vis der Boxen steht ein uraltes Sofa, aus dem Nachlass von Oma Brunsen von nebenan. Genüsslich betrachtet der Derbychef die Tiere. Die beiden Stuten Carla und Daisy recken ihre Köpfe durch das Gatter. Sie wollen mehr getätschelt werden. So geschieht es.

Es ist ein Bild für Götter, eine Idylle pur. Von nebenan betrachtet das Pony Balou das Geschehen. Der Pferdeopa ist 33 Jahre alt und noch gut in Form. An seiner Seite steht sein Freund. Es handelt sich um die Ziege Emma, mit elf Jahren gleichfalls von stolzem Alter gesegnet. Volker Wulff lacht. Es ist ein Tag wie geschaffen, um die Seele baumeln zu lassen. Beim Derby jetzt ist es mit der Ruhe vorbei.