Hamburg/Neumünster. Die Profitennisspielerin des Clubs an der Alster leidet unter einem unbekannten Virusinfekt. Ihre Rückkehr auf die Damentour ist ungewiss.

Mona Barthel fühlte sich sogar zu schwach, um ihre Bettdecke hochzuschieben. Die Daunen wogen so viel wie Blei. Auch ihr eigener Körper kam der Profitennisspielerin unendlich schwer vor. Totale Erschöpfung, dazu ständig Schwindel. Und sie war nicht mehr Frau über ihre eigenen Muskeln. „Ich konnte mich kaum noch bewegen, jeder Schritt war unendlich anstrengend.“ Nur zehn Meter am Stück konnte sie gehen, 300 Meter am Tag. Sieben Wochen lang lag die 25-Jährige in ihrem Elternhaus in Neumünster im Bett.

Seit zwei Wochen geht es dem Neuzugang des Clubs an der Alster wieder ein bisschen besser. „Aber wovon reden wir? Ich kann jetzt wieder ohne Mühe einkaufen gehen und eine halbe Stunde Sport am Tag treiben.“ Sie schlägt entweder ein paar Tennisbälle mit ihrer Mutter Hannelore oder macht leichtes Aerobic. Auch ein Abendblatt-Interview in einem Café hätte Barthel noch zu viel Kraft gekostet, sie bittet stattdessen um ein Telefongespräch.

Angefangen hatte ihre rätselhafte Krankheitsgeschichte schon im Dezember in der Saisonvorbereitung. Mit Schwindelgefühlen, die sie nicht ernst nahm. In Auckland (Neuseeland) musste sie gleich zu Jahresbeginn in Runde eins aufgeben, im australischen Hobart gewann sie zwar zwei Runden, konnte wegen Rückenproblemen am Iliosakralgelenk im Viertelfinale aber nicht mehr antreten. Im Anschluss bei den Australian Open kam ein Magen-Darm-Infekt dazu. Trotzdem schlug sie sich bei ihrem 6:3-5:7-4:6-Erstrunden­aus gegen Vania King (USA) respektabel. Im Doppel an der Seite des deutschen Shootingstars Laura Siegemund merkte sie dann aber, während sie am Netz stand: „Wow, es geht nichts mehr.“ Sie flog nach Hause, legte sich ins Bett und bestritt seither kein Turnier mehr.

Für Mona Barthel begann ein Ärzte-Ultramarathon. „Ich war bei neun Ärzten, habe fünf MRT machen lassen, ein CT und unendlich viele Blutuntersuchungen. Ich bin jetzt einer der am besten durchgecheckten Menschen der Welt“, sagt sie mit einem gequälten Lächeln in der Stimme. Sie wurde auf alles untersucht, man fand nichts. „Leukämie war auch ein Thema, weil meine Milz vergrößert war.“ Ein anderes Mal wurden ihre Muskeln an eine elektrische Leitung angeschlossen, „um zu sehen, was in meinen Muskeln ankommt. Neuromuskulär stimmte etwas nicht“. Aber auch das war nicht die Erklärung. Einen OP-Termin bei einem Arzt konnte sie noch rechtzeitig stoppen – eine Fehldiagnose. „Ich wurde auf Krankheiten getestet, von denen ich noch nie gehört hatte. Ich habe das extra nicht gegoogelt, um mich nicht verrückt zu machen. Sonst beginnt das Kopfkino.“

Der Verdacht auf eine Reaktivierung von Pfeifferschem Drüsenfieber, ähnlich wie beim HSV-Kapitän Johan Djourou, wurde nicht bestätigt. Auch im Tropeninstitut in Hamburg wurde sie untersucht, „weil ich ja viel reise“. Am Ende sagten ihr die Mediziner: Es muss „irgendein Virus“ gewesen sein. Welcher, wissen sie bis heute nicht.

Barthel hat mit Mitte 20 schon so manchen mental schwierigen Moment erlebt. Die schwere Krebserkrankung ihrer Mutter zog sich über mehrere Jahre, 2013 bekam auch noch ihr Vater Wolfgang Krebs. „Es ist schwer zu sagen, was schlimmer war. Das mit meinen Eltern oder das mit mir. Das kann man nicht vergleichen.“ Diese Hilflosigkeit im Umgang mit der eigenen Gesundheit, dem eigenen Körper war neu für die 1,85 Meter große Athletin. Davor war ein Bänderriss im November 2014 ihre schwerste Verletzung.

Sie macht sich keinen Zeitdruck, wann sie auf die Tour zurückkehrt. Ein Vorteil ist, dass Barthel im Frühjahr fast keine Weltranglistenpunkte zu verteidigen hatte, sodass sie nur etwas zurückfiel – derzeit auf Platz 68. Nach sechs Monaten Verletzungspause könnte sie von der Damen-Profiorganisation WTA ein „Protected Ranking“ erhalten, ihr Rang würde zu ihrem Schutz eingefroren.

Weitere drei Monate will Barthel, die bisher drei WTA-Titel und 2,2 Millionen Dollar Preisgeld gewann, aber eigentlich nicht fehlen. Sie hofft auf die Teilnahme an den French Open (22. Mai bis 5. Juni) und in Wimbledon (27. Juni bis 10. Juli). Die junge Frau mit den peitschenden Grundschlägen und dem starken Service möchte in dieser Saison noch für den Club an der Alster in der Ersten Bundesliga aufschlagen. „Ich freue mich total, mal wieder im Norden zu spielen. Und wir haben eine unglaublich schöne Anlage.“

Ihre erste Priorität ist es, ihren normalen Alltag wieder führen zu können

Obendrein ist ihr eigener Tour­coach Sönke Capell, 43, zugleich der neue Betreuer der Alster-Damen. Der Neumünsteraner trainierte sie zum ersten Mal, als sie 14 Jahre alt war. Er coachte vorher ihre ältere Schwester Sunna, 32, die selbst deutsche Vizemeisterin U18 wurde. Mona Barthel sagt: „Sönke kennt mich seit ich ein Baby bin. Wir verstehen uns super, und er weiß genau, wie ich auf dem Platz ticke.“ Er ist ihr Immer-wieder-Trainer und Vertrauenscoach. Ähnlich wie der Itzehoer Torben Beltz für die Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber.

Das erste Punktspiel der Alsteranerinnen am 5. Mai in Regensburg gegen den Club von Kerber und Julia Görges wird Barthel „auf keinen Fall“ mitspielen können. „Die Priorität ist jetzt, dass ich mich überhaupt wieder gut fühle und meinen Alltag normal leben kann.“ Sie war schon vorher ein sehr ernsthafter, analytischer Mensch. In den sieben Wochen im Bett, sagt sie, „habe ich viel gelernt. Ich weiß jetzt, dass ich manche Dinge einfach so akzeptieren muss wie sie sind. Und ich freue mich nun über banale Kleinigkeiten. Als Persönlichkeit werde ich stärker zurückkommen.“