Hamburg. Der Torjäger traf beim 2:1-Sieg im packenden Nordderby gegen Bremen doppelt – nach starkem Beginn musst der HSV am Ende um den Erfolg zittern

Kai Schiller
Henrik Jacobs

Pierre-Michel Lasogga schaute etwas ungläubig in den Nachthimmel, als ein ganzes Stadion im Freudentaumel zu versinken drohte. 2:1 hatte der HSV gerade Werder Bremen bezwungen, als sich schließlich auch der Matchwinner auf den Weg in die Fankurve machte. Gleich zweimal hatte der zuletzt nicht gerade zielsichere Angreifer getroffen, was vor diesem viel diskutierten Abstiegsgipfel kaum einer für möglich gehalten hätte.

Wer hatte sich nicht alles schon im Vorfeld dieses 104. Nordderbys zu Wort gemeldet. Werders Ex-Torhüter Tim Wiese orakelte in der „Bild“-Zeitung, dass dem HSV „der Stift“ gehe, die Bremer Torwartlegende Dieter Burdenski forderte in der „Welt“ beide Clubs zu einer „ehrlichen und schonungslosen“ Saisonanalyse auf. Sogar die Hamburger Polizei ließ sich kurz vor dem Anpfiff zu ein wenig Lokalpatriotismus hinreißen und forderte den HSV via Twitter auf, das Abstiegsgespenst doch bitteschön zu vertreiben: „Wir drücken dem HSV die Daumen.“

Doch spätestens mit dem Anpfiff durch Schiedsrichter Manuel Gräfe war das Vorgeplänkel vergessen. Die HSV-Fans freuten sich, dass Nicolai Müller trotz seiner Oberschenkelverletzung auflaufen konnte. Und es dauerte handgestoppte fünf Minuten, ehe eben jener Müller seinen lädierten Oberschenkel ein erstes Mal auf Hochtouren brachte. Michael Gregoritsch, der überraschend für den Ur-Bremer Aaron Hunt in der Startelf stand, hatte ein entscheidendes Kopfballduell an der Mittellinie gewonnen und seinen schnellen Offensivkollegen auf die Reise geschickt. Dass Hamburgs Mittelfeldflitzer selbst mit einem schmerzenden Oberschenkel noch ein verdammt schneller Läufer ist, durfte Bremens Innenverteidiger Papy Djilobodji auf eine nicht weniger schmerzhafte Art und Weise erfahren. Müller sprintete dem Senegalesen davon und bediente den in der Mitte wartenden Lasogga mustergültig. 1:0 nach 300 Sekunden – was für ein Start.

Besonders Torjäger Lasogga war nach dem unerwarteten Blitzstart gar nicht mehr einzufangen. Der Stürmer sprinte nach seinem siebten Saisontor nicht weniger schnell als Kollege Müller direkt in die Arme von Kumpel und Konkurrent Sven Schipplock, der sich am Spielfeldrand mit den restlichen Auswechselspielern über Lasoggas ersten Treffer seit mehr als fünf Monaten überschwänglich freuen durfte.

Und wenn tatsächlich drei Mal Bremer Recht ist, dann sind alle guten Dinge in Hamburg zwei. So mussten Schipplock und Co. nicht mal eine weitere höchst unterhaltsame halbe Stunde warten, ehe sie Lasoggas zweites Lebenszeichen bejubeln durften. Diesmal war es Matthias Ostrzolek, der in bester Müller-Manier spiegelverkehrt quer über den Platz sprintete und den Ball sogar noch zielgenau auf Lasoggas Kopf zirkelte. Der Sturmbulle, der zuvor in 15 Spielen ohne Treffer geblieben war, nickte zum 2:0 ein und jubelte diesmal mit einem sehenswerten Knierutscher.

Wieder einmal also Lasogga. Schon in der vorletzten Saison hatte er in der Relegation in Fürth (1:1) getroffen, dieses Mal ging es darum das Relegations-Triple zu vermeiden.

Doch Hamburgs wahrscheinlich beste erste Halbzeit dieser Saison einzig und alleine auf die Wiederauferstehung des zuletzt taumelnden Sturmtanks zu reduzieren, würde den restlichen Kollegen und vor allem Trainer Bruno Labbadia unrecht tun. Denn so ziemlich alles, was sich der Coach vor diesem Nordderby überlegt hatte, schien zumindest im ersten Durchgang aufzugehen. Besonders Gregoritschs Nominierung in der Mittelfeldzentrale sorgte für die zuvor erhoffte Kopfballüberlegenheit, Gideon Jungs Einsatz für Gojko Kacar für die Sicherheit am Boden. Als Schiedsrichter Gräfe die erste Halbzeit nach 45 abwechslungsreichen Minuten mit weiteren Großchancen auf beiden Seiten abpfiff, spendeten die Fans, von denen sich einige im Vorfeld der Partie schwere Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert hatten, lautstarken Beifall.

Aufmunternd klatschen mussten die Zuschauer auch direkt beim Wiederanpfiff, als die verletzungsbedingte Auswechslung des zuvor herausragenden Müllers bekanntgegeben wurde. So war Labbadia gezwungen, die Statik der Mannschaft zu verändern. Kacar kam für das defensive Mittelfeld, Holtby rückte eine Position nach vorne, und Gregoritsch wich auf den ungeliebten rechten Flügel aus. Doch die Hauptrolle sollte zunächst ein ganz anderer Hamburger übernehmen: Jaroslav Drobny. So waren gerade einmal elf Minuten im zweiten Durchgang gespielt, als Rückkehrer Johan Djourou im eigenen Strafraum Claudio Pizarro relativ humorlos umgrätschte. Der Gefoulte schnappte sich den Ball und scheiterte aus elf Metern an Adler-Ersatz Drobny.

Etwas mehr Glück hatte der gerade erst eingewechselte Anthony Ujah kurze Zeit später, der – aus abseitsverdächtiger Position – zunächst ebenfalls aus elf Metern an Drobny scheiterte, den Abpraller aber aus fünf Metern zum Anschlusstreffer einköpfte. Bremen drängte, erspielte sich bis zum Abpfiff Torchance. Doch am Ende blieb es beim 2:1 für den HSV – und bei der schönsten Heimspielfeier des Jahres. Zwei Siege in einer Saison gegen Bremen – das hatten die Hamburger zuletzt 1967/68 geschafft. „Zweite Liga, Bremen ist dabei“, klang es tausendfach aus der Nordtribüne.