Hamburg. Ausgerechnet Werder-Legende Aaron Hunt soll den HSV im Nordderby am Freitag vor dem Schlimmsten bewahren. Sein Entdecker wünscht sich ein Remis

Wenn man Aaron Hunt nach seiner ersten Erinnerung an Werder Bremen fragt, dann muss der 29 Jahre alte Fußballer zunächst einmal nachdenken. Erst nach einer Weile fällt ihm die passende Anekdote ein. Lange sei das nun schon her, sagt Hunt. Er war 14 Jahre alt, gerade aus seiner Goslarer Heimat in die C-Jugend nach Bremen gewechselt, und musste direkt mit seinen neuen Mannschaftskollegen mit dem Bus ins Trainingslager nach Österreich fahren. „Gefühlte 14 Stunden“ hätten sie gebraucht, erinnert sich der gebürtige Niedersachse. „Alles war ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe.“ Hunts Fazit damals: „Ich hatte direkt keinen Bock mehr auf Werder.“

15 Jahre später kann Aaron Hunt über seinen verpatzten Start in Bremen nur schmunzeln. Trotz der langen Busfahrt blieb der talentierte Mittelfeldspieler noch 13 weitere Jahre bei den Grün-Weißen, wurde eine echte Werder-Legende, ehe er über den Umweg Wolfsburg im vergangenen Sommer ausgerechnet beim Erzfeind unterschrieb. „Der HSV hat sich einfach sehr um mich bemüht“, sagte Hunt, als er am vorletzten Tag der Transferfrist im Volkspark vorgestellt wurde. Ein Bremer! In Hamburg!! Es dauerte nicht lange, ehe eine Grundsatzdiskussion entbrannte. „Aaron hätte nicht zum HSV gehen dürfen“, ließ Ex-Werder-Keeper Tim Wiese via „Bild“-Zeitung mitteilen. „Wenn einer so lange für einen Club gespielt hat“, so der Hobby-Muckimann, „dann sollte er nicht ausgerechnet zum Erzrivalen wechseln.“

Ob Wiese will oder nicht: An diesem Freitag ist es nun soweit. Erstmals trifft Neu-Hamburger Hunt mit dem HSV auf Bremen. Den 3:1-Hinspielsieg hatte er aufgrund eines Muskelfaserrisses nur von der Tribüne verfolgen können. Und als ob die ganze Geschichte nicht schon paradox genug wäre, darf sich die frühere Werder-Legende vor dem erstmaligen Wiedersehen mit seinem alten Club nun auch noch über einen neuen Status in Hamburg freuen: HSV-Hoffnungsträger, der letzte.

Zweimal hatte der „Hunter“, so sein Spitzname, dem HSV zuletzt gefehlt. Zweimal spielte der HSV schlecht. Zweimal verlor der HSV. „Aaron ist extrem wichtig für uns“, sagt Trainer Bruno Labbadia. „Er macht Dinge, die andere nicht machen.“

Diese Dinge soll Hunt nun am Freitag (20.30 Uhr/Sky) machen – so Gott, sein lädierter Rücken, das schmerzende Knie und seine Problem-Oberschenkel wollen. Hunts Körper gleicht einem gebrauchten Sportwagen, der hübsch anzuschauen ist und bei einem Wochenendausflug noch immer gut in den Kurven liegt, zu oft aber wegen zu vieler Zipperlein in die Werkstatt muss. „Aarons Fall ist schwierig“, sagte Labbadia in der vergangenen Woche. „Er hat einen Kreislauf aus Schmerzen. Mal ist es der Oberschenkel, mal das Knie, dann der Rücken. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen.“

Am Dienstag rollte der in die Jahre gekommene Sportwagen Hunt nun erstmals nach längerer Pause mal wieder aus der Werkstatt. Elf Tage lang hatte der Mittelfeldregisseur kein Mannschaftstraining mehr von Anfang bis Ende mitgemacht, ehe gestern Nachmittag der Ernstfall geprobt wurde. „Ich habe keine Schmerzen mehr, keine Probleme“, sagte Hunt nach der 55-minütigen Einheit. Werder Bremen, so die Kernbotschaft, kann kommen.

Mit einem Daumen für Bremen und einem Daumen für den HSV und Hunt gedrückt wird Bernd Pfeifer die Partie am Fernseher verfolgen. Der ehemalige Werder-Jugendtrainer und Scout gilt nicht nur als Entdecker und größter Förderer Hunts. „Aaron war wie ein Sohn für mich“, sagt Pfeifer im Gespräch mit dem Abendblatt.

Der Bremer erinnert sich noch gut an die erste Begegnung. „Aaron war beim Probetraining unter Stefan Beckenbauer beim FC Bayern München durchgefallen und spielte bei uns vor“, berichtet Pfeifer: „Er hat katastrophal trainiert – und trotzdem hatte dieser junge Bursche das gewisse Extra.“ Pfeifer buchte Hunt und seinen Eltern ein Hotelzimmer in Bremen und bat den Youngster am nächsten Tag noch einmal zum Training. „Da hat es klick gemacht. Ich habe direkt gesagt, dass wir ihn unbedingt zu uns holen müssen.“

Hunt kam, blieb und ging erst, als Werder immer mehr auf eine Sackgasse zusteuerte. „Der Verlust an Qualität konnte nicht immer eins zu eins aufgefangen werden“, hatte er vor einiger Zeit die Entwicklung Werders kommentiert, als Hunt seinen Wechsel zum VfL begründen sollte. Bremen beendete damals die Saison auf Rang zwölf im Niemandsland der Liga, der HSV rettete sich in die Relegation. Anderthalb Jahre später stehen die beiden Clubs wieder auf den Plätzen 16 und 12 – nur in umgekehrter Reihenfolge.

Hunt will nicht absteigen – und natürlich will er auch nicht, dass sein Ex-Club absteigt. Der einstige Werder-Star hat noch ein Haus in Bremen, die meisten seiner Freunde wohnen in der Nähe. Ehefrau Semra hat Hunt im Festsaal des Bremer Park-Hotels geheiratet, und auch nach der Karriere soll Bremen wieder sein Lebensmittelpunkt werden. „Aaron ist und bleibt ein Bremer“, sagt Entdecker Pfeifer, der auf ein Unentschieden hofft. Ein salomonisches Ergebnis, das zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben wäre. Und Hunt? Bremen ist seine Vergangenheit, seine Zukunft. Aber Hamburg ist seine Gegenwart. Am Freitag mehr denn je.