Bremen. Nach dem 3:2-Sieg gegen den VfL Wolfsburg kommt das Pokalhalbfinale – und dann das Abstiegsendspiel beim HSV

Am Tag danach war es nur ein Häuflein treuer Anhänger, das seinen Idolen am Eingang der Ostkurve zum Weserstadion seine Aufwartung machte. War ja auch nicht allzu spannend, wie Zlatko Junuzovic, Sambou Yatabaré oder Clemens Fritz, die siegbringenden Garanten des SV Werder beim 3:2 gegen den VfL Wolfsburg, ihr Mountainbike aus einem Blechverschlag schoben, um damit eine halbstündige Tour am Osterdeich weseraufwärts zu machen. Ausradeln statt Auslaufen hieß das Gebot am Sonntagmorgen, nachdem am Sonnabend eine andere Devise gegolten hatte. Anfeuern statt auspfeifen. Mindestens 5000 Fans standen weit mehr als eine Stunde vor Spielbeginn Spalier, um den Mannschaftsbus auf einer Schleichfahrt von der Rampe herunter bis zum Spielertrakt zu begleiten.

Antreiber Junuzovic zeigte sich selbst im Abstand einer Nacht sichtlich berührt von der Aktion, die über den Fan Club „WFC#Twerder“ via Twitter initiiert und in Anlehnung an einen Klassiker der Rockgruppe Oasis „greenwhitewonderwall“ getauft worden war. „Wir wollten die Stimmung nicht ins Negative abrutschen lassen. Man kann sich nach einem Abstieg selbst zerfleischen, aber nicht vorher“, lieferte Bremens Fanclubmitglied Johanna Gödecke eine einleuchtende Begründung. „Wonderwall und Wunder – das passt doch perfekt.“

Auf jeden Fall entfaltete die verabreichte Motivationsspritze eine erstaunliche Wirkung: Die zuletzt so massiv verunsicherten Protagonisten schwangen sich zu einer in jeder Hinsicht erstligareifen Leistung auf. „Wenn auf dem Weg zum Stadion so viele Fans stehen, dann ist das Gänsehaut pur. Da zerreißt du dich halt gern“, beschied der Österreicher Junuzovic. Der 28-jährige Fleißarbeiter, vor Wochen ob seiner fahrigen Auftritte noch als Gesicht des Niedergangs gebrandmarkt, holte nicht nur den Elfmeter heraus, der Claudio Pizarro beim 1:0 (32.) ermöglichte, mit 102 Treffern alleiniger Bremer Bundesliga-Rekordtorschütze zu werden, sondern bereitete auch mustergültig das 2:1 von Fin Bartels (64.) und 3:1 von Winter-Neuzugang Yatabaré (83.) vor.

In höchster Not hat dem Verein schon häufiger der grün-weiße Schulterschluss geholfen – auch 2013 in den letzten Wochen der Ära Thomas Schaaf kam ähnliches zustande, damals hieß der Slogan „ALLEz GRÜN“. Ursächlich das außergewöhnliche Ambiente machte selbst Trainer Viktor Skripnik als Garanten aus, der mit dem Sieg auch das Selbstvertrauen zurückbrachte: „Die Unterstützung war der Wahnsinn – ich bin dafür dankbar.“ Nebenbei sicherte der Befreiungsakt auch den Job des 46-Jährigen, der auf der Zielgeraden gewiss nicht mehr gefeuert wird.

Seine Mannschaft habe mit Herz Fußball gespielt. Nur so gehe es im Abstiegskampf, stellte Skripnik heraus. „Wir werden weiter akribisch sein, professionell und nicht hektisch“, versprach er weiter, verweigerte aber jegliche Auskünfte zu seinem Gefühlsleben. Die Variante ist ja nicht vom Tisch, dass die Werder-Geschäftsführung am Saisonende zu dem Schluss kommt, den mit der Öffentlichkeitsarbeit oft überforderten Ukrainer (gegen Braunschweigs Trainer Torsten Lieberknecht?) auszutauschen.

Für Werder ist zunächst das Wichtigste, dass sich die Begräbnisstimmung, die nach der jüngsten Heimpleite gegen Augsburg noch geherrscht hatte, wieder in Aufbruchsstimmung verwandelt hat. Die Hanseaten stehen zwar weiter auf Relegationsrang 16, aber Geschäftsführer Thomas Eichin („Das war ein Pflichtsieg“) glaubt fest daran, in der Tabelle noch zu klettern. „Wir können jetzt noch Teams einholen, die glaubten, dass sie weit weg sind.“ Eichin hat damit vor allem Hamburg, aber auch Stuttgart und Köln gemeint – die Gegner bis zum letzten Heimspiel gegen Frankfurt.

Zuvor steht aber am Dienstag das DFB-Pokalhalbfinale bei den Bayern an. Eichin sieht allein „positiven Druck“, und Skripnik kann es sich kaum leisten, die Partie vorab aufzugeben, wie Anfang März die Bundesliga-Begegnung in München (0:5). Sein unverwüstlicher Torjäger und Altmeister Pizarro freut sich nicht nur erneut auf „die vielen Kollegen und Freunde in München“, sondern versicherte am Sonntag: „Wir wollen ins Finale, wir wollen nach Berlin.“ Vielleicht hatte der 37-Jährige auch den Evergreen noch im Ohr, den die Fans am Tag zuvor in der Ostkurve mit ziemlicher Inbrunst intoniert hatten: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus.“

Viel wichtiger für die Bundesligazukunft ist in der kommenden Woche allerdings eine andere Frage: wer die Hosen beim Nordderby am Freitag in Hamburg anhaben wird.