Hamburg. Hamburgs Sportvereine bieten ein umfangreiches Angebot für geflüchtete Menschen und leisten einen bedeutenden Beitrag zur Integration.

„Ballspielen in der Halle verboten“ steht auf einem, nein: zwei, drei, vier Schildern in Deutsch und mit fremden Schriftzeichen in den Gängen des Erstaufnahmelagers Geu­tensweg in Neugraben-Fischbek. Zwischen den durch Stellwände abgetrennten Winzzimmerchen, in denen ganze Familien kaum mehr als eine Bettstatt haben, ist einfach kein Platz, seinen Bewegungsdrang auszuleben.

Dennoch dringt fröhlicher Lärm durch das lagerhallengroße Gebäude, immer lauter, je näher man dem Hof kommt. Menschen jeden Alters tummeln sich dort, spielen, kicken, laufen, rangeln, springen Seil, pritschen Bälle. Treiben Sport. „Wir bieten zweimal in der Woche in der Unterkunft Sportkurse an, wir kommen zu den Geflüchteten, wir wollen niedrigschwellige Angebote machen“, sagt Angelika Czeplinski, die für den TV Fischbek das Sportangebot am Geutensweg mit ihren 500 Bewohnern organisiert.

Jeden Dienstag und Sonnabend bewegen sie die Menschen mit bis zu fünf Übungsleitern vor Ort, weitere Angebote des Vereins, aus dem das Frauenvolleyballteam Aurubis hervorgegangen ist, stehen offen. Es gibt eine Laufgruppe, in der vor allem Eritreer aktiv sind und die am nächsten Sonntag beim Haspa-Marathon in der Staffel startet, es gibt Fußball, Volleyball, alles. „Wir versuchen, alle mitzunehmen und auch Personen der Zielgruppe zu Helfern auszubilden“, sagt Czeplinski.

So wie in Hamburgs Süden geht es mittlerweile in der ganzen Stadt zu. Erst kamen die Flüchtlinge, dann fanden sich Vereine, Initiativen und Helfer. Angebote entstanden, häufig spontan. Eine Basisbewegung. „Plötzlich standen Flüchtlinge bei uns im Sportbüro in der Bundesstraße und wollten mitmachen“, erinnert sich Katja Schöneberndt, Studioleiterin beim Eimsbütteler Turnverband (ETV), an die Zeit im Herbst, „wir mussten uns etwas einfallen lassen.“

So entstand ein umfangreiches Programm für Flüchtlinge, das auch in arabischer Sprache gedruckt ist. Es sind Kurse darunter, in denen noch Platz war, teilweise Angebote, die extra geschaffen wurden. Fußball ist sehr beliebt, vor allem bei den jungen Männern. Frauen nehmen am Fitness teil, aber auch in großer Zahl an einer Ballsportgruppe, die der ehemalige Faustballnationalspieler Claus Ehlbeck, 61, betreut. „Das macht so viel Spaß, die Menschen sind glücklich und dankbar“, erzählt Ehlbeck, der auch noch einen anderen Aspekt der Flüchtlingsarbeit im Sportverein hervorhebt: „Beide Seiten haben etwas davon. Unsere Mitglieder lernen Flüchtlinge persönlich kennen, Kontakte entstehen, Vorurteile werden abgebaut.“ Es entstehen „emotionale Bindungen zu den Mitgliedern“, sagt auch Boris Schmidt, Vorstandsvorsitzender der TSG Bergedorf.

Überall in der Stadt entstanden Sportangebote quasi aus der Nachbarschaft heraus. Da gibt es ein florierendes Boxangebot beim BC Hanseat, Fußball und Kindertanzen beim SV Eidelstedt, einen Schwimmkurs für unbegleitete Jugendliche in Bergedorf, und so weiter. Rund 40 Projekte gibt es, niemand kennt die genauen Zahlen. Es geschieht einfach. Und meist gut.

Die großen Sportorganisationen und schließlich auch die Regierung konnten (und wollten) diese sportliche Integrationsbewegung von unten nicht mehr übersehen. Zwei Projekte, die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Deutschen Sportjugend koordiniert werden, fördert die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoguz, aus ihrem Etat mit insgesamt 700.000 Euro. In Hamburg allein werden über 40 Sportangebote so gefördert. Für den einzelnen Verein, der sich um Unterstützung im Rahmen dieser Projekte bewirbt, fallen 2500 Euro ab. Der Hamburger Sportbund (HSB) stellt zusätzlich 100.000 Euro für Integrationsarbeit im Sportverein zur Verfügung, 30.000 Euro kommen von den Bezirken, 10.000 von der Alexander Otto Sportstiftung. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gibt durch die Egidius-Braun-Stiftung und mithilfe der Uefa bundesweit 400.000 Euro.

Aber natürlich reicht das Geld nie. Der SV Eidelstedt und der Altonaer Turnverband haben eine „Mitgliedspatenschaft“ eingeführt, ein Modell, über das auch andere Clubs nachdenken. Irgendwann, das ist das Ziel, sollen auch die Flüchtlinge „reguläre“ Mitglieder werden und Beiträge zahlen. Reduziert, übernommen, gespendet – wie immer es möglich ist. „Unsere Mitglieder sind sehr offen und verständnisvoll“, sagt der ETV-Vorsitzende Frank Fechner, „sie sollen aber nach Möglichkeit keine Einschränkungen in ihrem eigenen Sportbetrieb erleben.“

Das ist in Hamburg auch deshalb möglich, weil keine Sporthallen für Flüchtlingsunterkünfte zweckentfremdet wurden, so wie es teilweise massiv in anderen Bundesländern passiert ist. Rund 700 Sporthallen sind insgesamt in Deutschland „beschlagnahmt“. „Man muss Hamburg ein Kompliment machen, dass der Senat die Integrationswirkung von Sport erkannt hat“, sagt Walter Schneeloch, DOSB-Vizepräsident. „Woanders treten deswegen auch Mitglieder aus. Es gibt Vereine, die Existenzangst haben.“

Davon ist die Hansestadt weit entfernt. Hier geht es darum, das Mitein­ander zu organisieren. Am kommenden Donnerstag lädt der HSB Vereine und Verbände deshalb zu einem Gedanken- und Erfahrungsaustausch ein. Der SV Eidelstedt beispielsweise hat in Jeanne-Minou Klette eine hauptamtliche Flüchtlingsbeauftragte eingestellt, die sich um die Organisation der Angebote kümmert. Ihr zur Seite steht als „Botschafter“ der 15 Jahre alte Hasib Aziz, ein Flüchtling aus Afghanistan, der bei der Verständigung mit anderen Flüchtlingen helfen soll. Er wird durch das Projekt „Integration durch Sport“ vom HSB finanziert, das auch in anderen Vereinen „Botschafter“ ermöglicht. „Viele Flüchtlinge kennen das Sportangebot in ihrer Nähe noch nicht“, weiß Klette, 23, die Sportwissenschaft und Pädagogik studiert hat und jetzt ihren Master in Sportmanagement anstrebt.

Kommunikation, kulturelle Unterschiede führen bisweilen zu Problemen

Die Probleme gleichen sich in allen Vereinen. „Kommunikation, Verständigung ist manchmal schwierig“, sagt der ETV-Chef Fechner. „Natürlich gibt es auch kulturelle Unterschiede.“ Beim Kinderturnen beispielsweise „tun sich einige Frauen sehr schwer, ihre Kinder aus der Hand zu geben“, erzählt Katja Schöneberndt. „Beim gemischten Judo dagegen hat sich die Haltung mancher Männer – ,ich kämpfe nicht gegen Frauen‘ – schnell gegeben.“

Auch mit der Verlässlichkeit und Pünktlichkeit ist das so eine Sache, aber das hat keinesfalls nur mit Mentalitätsunterschieden zu tun. „Wir haben es schon gehabt, dass eine ganze Gruppe nicht mehr kommen konnte, weil zu der Sportzeit nun Deutschkurse gegeben wurden. Und die sind natürlich wichtiger“, erzählt Ehlbeck. In Fischbek fehlte plötzlich eine sehr talentierte Fußballspielerin, weil sie vom Erstaufnahmelager in eine weit entfernte Flüchtlingsunterkunft verteilt wurde. Kein Einzelfall. „Da hat schon eine Integration in den Sportverein stattgefunden, und die geht dann wieder kaputt“, beklagt Angelika Czeplinski.

Und doch! Sport für und mit Flüchtlingen ist in Hamburg offenbar ein Erfolgsmodell. Man muss nur auf Hussein hören, 18 Jahre alter Basketballer, der im letzten Jahr aus dem Irak gekommen ist und nun in Fischbek spielt: „Es macht so viel Spaß, Hamburg ist eine wunderbare Stadt. Ich möchte gerne hierbleiben.“